Chancengleichheit im Gesundheitssystem ausgerechnet als Experte der SPD, der Partei der Schröder’schen Agenda 2010, einzufordern, ist ohne Selbstkritik unglaubwürdig. Zudem bleibt eine Reihe von Problemen:

  1. 1.

    Private Krankenversicherungen und die Altersrückstellungen ihrer Mitglieder kann man nicht entschädigungslos enteignen.

  2. 2.

    Eine Zwei-Klassen-Medizin besteht bereits nach § 12 SGB V: „Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.“ Steigende Rezeptgebühren und Zuzahlungen machen viele ambulante und stationäre Therapien für unseren einkommensschwächsten Patienten zu unerreichbaren Selbstzahlerleistungen.

  3. 3.

    Chancengleichheit und Teilhabe im Gesundheitswesen werden nach wie vor durch Geschlecht, Schichtzugehörigkeit, Herkunft und Migrationshintergrund diktiert. Niedriglohn, geringfügige Beschäftigungen, Leih-, Wanderarbeit und Arbeitnehmerüberlassungen tun ihr Übriges. Kollege Lauterbach hat selbst mehrfach darüber publiziert.

Hausärzte ziehen den Karren

Die Schere zwischen Arm und Reich geht in Deutschland immer weiter auf. Im Gegensatz zum Theoretiker Lauterbach (Approbation als Arzt erst 2010) arbeiten meine Kollegen und ich mit Fingerspitzengefühl, emotionaler, sozialmedizinischer, psychologischer und praktischer Intelligenz in der hausärztlich-familienmedizinischen Praxis. Täglich müssen wir eine Balance von Solidarität, Selbstverantwortung und Subsidiarität herstellen — ohne dass sozial Schwache, Kranke, Alte, Junge, Kinder, Erwachsene, Reiche, Arme, Kluge und weniger Kluge ausgegrenzt, diskriminiert oder gar in Existenzangst oder würdeloses Sterben getrieben werden.

Umfassende Krankheits-, Daseins- und Risikovorsorge muss der Staat endlich mit einem angemessenen GKV-Bundeszuschuss garantieren. Es geht um mitversicherte Kinder, junge Menschen in der Ausbildung, die für kleines Geld Kranken- und Sozialversicherung brauchen; es geht um Gut-, Schlecht- und Spitzenverdiener im Reproduktions- und Arbeitsleben, aber auch um Rentner mit dann schwindendem Einkommen und hoher Morbiditätslast, um Geringverdiener, Arbeitslose, Minijobber, Arbeitslosengeld-I- und -II-Bezieher.

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Die Teilhabe am Gesundheitssystem ist armen Patienten erschwert.

© AlexRaths / Getty Images / iStock

Eine lupenreine „Bürgerversicherung“ existiert bereits über 100 Jahre für 90% der Menschen in Deutschland. Es ist die GKV. Die 10% Vollversicherten in der PKV kann man dabei m. E. ohne dramatische Aufgeregtheiten weiterlaufen lassen. Der Streit um eine Bürgerversicherung ist müßig. Wir brauchen ein für Laien verständliches, strukturiertes Konzept abgestufter Versorgungsebenen und eine Aufwertung der ambulanten, „sprechenden“ Medizin!