_ Meine Patientin, eine freundliche und zurückhaltende 71-jährige Türkin, litt seit drei Jahren an einer Alzheimer-Demenz, wodurch sie noch stiller geworden war. Ihr steter Begleiter war ihr sympathischer Ehemann, der in klassischem Sakko und mit feiner Art bescheiden wie vornehm zugleich auftrat.

Als die beiden nach einigen Monaten in ihrer Heimat lzmir wieder vor mir saßen, breitete der Ehemann eine Vielzahl von deutsch oder türkisch beschrifteten Arzneimittelschachteln vor mir aus. Er bat mich, diese für seine Frau zu reduzieren. Daneben legte er drei Medikamentenpläne: unseren von 2015, einen sehr umfangreichen des behandelnden Neurologen von 2016 — und einen von Prof. Y., Neurologe in lzmir, ebenfalls von 2016.

Angesichts des vollen Wartezimmers und der gestellten Aufgabe wurde ich etwas nervös und fragte mich, ob wir wohl in angemessener Zeit einen neuen Medikamentenplan für die Patientin zusammenbringen würden. Es zeigte sich jedoch, dass wir drei ein gutes Team waren und uns jeweils schnell einig wurden, ob eine Arznei sinnvoll oder verzichtbar für die Patientin wäre. Ich war recht aktiv, strich munter mit dem Stift in den beiden deutschen Plänen herum und legte am PC einen neuen an, um ihn dann auszudrucken.

Als ich gerade auch im türkischen Plan von Prof. Y. herumstreichen wollte, zögerte ich, plötzlich überkommen von so etwas wie Ehrfurcht und Respekt vor dem Papier aus lzmir. Ein kurzer Blick in die Augenpaare meiner beiden Gegenüber bestätigte mir, dass ich hier wohl richtig lag.

Kurzerhand sagte ich: „In dem türkischen Plan werden wir nicht herumstreichen, den nehmen sie als Erinnerung mit nach Hause!“ Sowohl die Ehefrau, die bisher nur still dagesessen hatte, als auch ihr Mann und ich begannen darauf wie aus einem Mund herzlich zu lachen. Wir hatten uns verstanden!