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? Dr. Claudia Petroni, Brixen/Südtirol: Ich betreue seit zwei Monaten eine 54-jährige Patientin, die über ungewöhnliche Symptome klagt. Seit Jahren verschöben sich unter der Kopfhaut die Knochen, sie könne die Gesichtsmuskulatur kaum mehr bewegen. Überall am Körper bestünden permanente Schmerzen, gehen könne sie noch maximal 100 Meter am Stück. Außerdem habe sich „das gesamte Achsenskelett verschoben“, sie fühle sich „windschief“.
Bekannt ist neben Zöliakie, Histaminintoleranz, multiplen Unverträglichkeiten (sie nimmt teilweise nur mehr Körner zu sich), Z. n. Perikarditis und euthyreoter Struma nodosa auch eine Osteoporose, wohl auch wegen der seit Jahren bestehenden Anorexie.
Die Patientin selbst vermutet einen (bisher nicht nachweisbaren) Infektherd tief in der Nase, Muskelatrophie und verschiedenste Unverträglichkeiten auf Medikamente und Nahrungsmittel. Eine analgetische und antipsychotische Therapie mit Amitriptylin scheiterte an der Compliance.
Eine somatoforme Störung wurde bereits mehrfach diagnostiziert, die Patientin weist dies aber vehement von sich. Sie war bereits im In- und Ausland bei allen möglichen, v. a. aber sehr renommierten Medizinern in Untersuchung.
Die Versuchung ist für mich groß, die Patientin in eine Psychiatrie-Schublade zu stecken. Allerdings möchte ich nichts übersehen.
! MMW-Experte Stiefelhagen: Das alles spricht doch sehr für eine somatoforme Störung. Mir fällt jedenfalls nichts ein, was mein weiter abklären sollte. M. E. hat es auch keinen Sinn, immer wieder neue Untersuchungen zu veranlassen. Dies führt nur zu einer weiteren Verunsicherung der Patientin und begünstigt die Chronifizierung. Außerdem besteht das Risiko, dass man irgendetwas findet, das aber nur als Organmaske für die psychische Störung dient.
! MMW-Experte Füeßl: Mir fallen aus der Ferne nur psychiatrische Diagnosen ein. Für eine Somatisierungsstörung spricht der langjährige Verlauf mit multiplen und ganz verschiedenen Symptomen. Die bizarre Schilderung der Schmerzen im Kopfbereich lässt aber auch an eine Schizophrenie mit Zönästhesien denken. Die zahlreichen Arztkontakte mit prominenten Medizinern lassen auch an ein Münchhausen-Syndrom denken. Dafür ganz typisch ist eine anfängliche Heroisierung der Ärzte und der sich anschließende Genuss der Tatsache, dass sie sich an ihrem Fall „die Zähne ausbeißen“. Im Falle Ihrer Patientin passt sogar die Bezeichnung „Koryphäen-Killer-Syndrom“.
An Ihrer Stelle würde ich mich keinesfalls den Wünschen der Patientin beugen. Stattdessen empfehle ich Ihnen, diesen Kontakt möglichst bald zu beenden, indem Sie offen zugeben, dass Sie der Patientin nicht helfen können — weil ihr tatsächlich von somatisch orientierten Ärzten nicht zu helfen ist. Ihre Zuschrift und die Sorge, etwas zu übersehen beweist, dass Sie offensichtlich eine sehr engagierte und emphatische Kollegin sind. Leider werden genau diese Eigenschaften von derartigen Patienten ausgenützt.
Bleiben Sie standhaft, auch wenn damit zu rechnen ist, dass der Moment der Trennung mit einer im weitesten Sinne starken emotionalen Belastung einhergeht — allerdings mehr für Sie und weniger für die Patientin.
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Springer Medizin. Sie leidet viel — aber ist sie krank?. MMW - Fortschritte der Medizin 159, 20 (2017). https://doi.org/10.1007/s15006-017-9138-z
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