_ Der allgegenwärtige Überfluss an Nahrungsmitteln treibt mitunter seltsame Blüten: Mal wird die Paleo-Diät als einzig wahre oder „artgerechte“ Ernährung für Menschen beworben, mal soll der Fruganismus den Menschen wieder in Einklang mit der Schöpfung bringen. Bei dieser Diät werden nicht nur Tiere verschont, sondern auch Pflanzen. Gegessen wird nur, was die Natur freiwillig hergibt, primär also Früchte, am besten, nachdem sie zu Boden gefallen sind.

Über den gesundheitlichen Nutzen solcher Extremdiäten mag man streiten, Ärzte sollten aber hellhörig werden, wenn die Suche nach der perfekten Ernährung zu einem Zwang wird, der das Leben massiv beeinträchtigt. Geht jemand nicht mehr auf Partys, weil es da angeblich nichts Richtiges zu Essen gibt, ist das ein klares Warnzeichen, betonte Prof. Ulrich Voderholzer aus Prien.

Tiefe Unsicherheit

Die Orthorexie — das zwanghaft-übertriebene Einengen der Ernährung auf vermeintlich gesunde Lebensmittel — geht häufig mit einer manifesten Essstörung einher. Voderholzer nannte Ergebnisse einer aktuellen Untersuchung bei über 400 psychisch Kranken. Danach ließ sich bei knapp 38% der Anorexie- und bei 26% der Bulimiekranken eine Orthorexie feststellen. In einer Vergleichsgruppe mit gesunden jungen Menschen lag die Prävalenz bei etwa 2–3%.

Orthorexie ist für sich genommen jedoch keine psychiatrische Diagnose, gab Voderholzer zu bedenken. Der Begriff wurde vom US-Arzt Steven Bratman Ende der 1990er-Jahre eingeführt, um ähnlich wie bei Anorexie einen krankhaften Umgang mit der Ernährung zu kennzeichnen. Bratman, der selbst betroffen war, sah vor allem in der Ideologisierung der Ernährung ein Problem. Orthorektiker halten ihre Ernährungsweise oft für gesund und moralisch überlegen. Dahinter, so Voderholzer, stecke aber häufig eine tiefe Unsicherheit und Suche nach Orientierung.

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Darf man das wirklich essen?

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