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Dr. med. J. Zeeh Geriatrische Fachklinik Georgenhaus, Meiningen

_ Lassen wir uns durch das Wissen um skelett- und muskelschädigende Effekte von Statinen manipulieren? Berichten Patienten, die von dieser potenziellen Nebenwirkung wissen, häufiger über Muskelschmerzen? Verordnen wir deshalb sogar zu wenig Statine? Eine Nachauswertung der 2003 publizierten ASCOT-Studie [Sever PS et al. Lancet. 2003;361:1149–58], die zum Siegeszug der Statine beigetragen hatte, legt dies nahe. Die Auswertung wurde von drei Pharmaunternehmen finanziert.

Die ASCOT-Studie war zunächst verblindet. In dieser Phase hatten 2,03% der Patienten in der Atorvastatingruppe und 2,00% in der Placebogruppe über muskuläre Symptome berichtet. Die Studie wurde allerdings vorzeitig abgebrochen, weil es nicht mehr vertretbar erschien, Hypertonikern mit drei oder mehr kardiovaskulären Risikofaktoren das deutlich überlegene Medikament vorzuenthalten. Im Anschluss wurde allen Teilnehmern die Einnahme von Atorvastatin angeboten — und nun sah es plötzlich anders aus: Jene Patienten, die sich für die weiter Einnahme entschieden, berichteten um ca. 40% häufiger über Muskelsymptome als jene, die das Statin nicht einnahmen.

Angesichts dieser Daten befürchtet selbst Co-Studienleiter Prof. Peter Sever, dass zu vielen Patienten wegen einer übertriebenen Furcht vor Muskelschäden Statine vorenthalten werden könnten [BMJ. 2017;357:203].

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Er ist gegenüber CSE-Hemmern stets skeptisch geblieben.

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KOMMENTAR

Man bezeichnet eine solche scheinbare negative Wirkung eines Arzneimittels als Nocebo-Effekt (nocebo = „ich werde schaden“). Das Gegenteil ist der Placebo-Effekt (placebo = „ich werde gefallen“). Aus der Sicht eines Altersmediziners hierzu fünf Anmerkungen.

  1. 1.

    Aus meiner täglichen Praxis habe ich den Eindruck, dass die Statine in der Prävention bei Hypertonikern mit kardialen Risikofaktoren und in der Behandlung der koronaren Herzkrankheit (KHK) fest etabliert sind. Gelegentlich stellt sich mir sogar eher die Frage: „In diesem Alter wirklich noch ein Statin?“

  2. 2.

    In der Dekade ab dem 70. Lebensjahr sollte man einem ansonsten noch rüstigen Koronarpatienten sicherlich zu einem Statin raten. Jenseits der 80 nimmt der Nutzen ab: je älter, desto geringer. Dies gilt ganz besonders, wenn zusätzlich eine ausgeprägte Multimorbidität, eine Demenz oder eine schon eingeschränkte Alltagsselbstständigkeit vorhanden sind und das Gesamtbild prägen. Das geriatrische Assessment hilft ganz entscheidend bei der Beantwortung der Frage: Welcher betagte Patienten bekommt ein Statin, welcher besser nicht?

  3. 3.

    Schmerzen im Muskel-Skelett-System sind bei Älteren sehr häufig und sollten tatsächlich nicht vorschnell als Argument gegen eine eigentlich indizierte Statinverordnung angesehen werden.

  4. 4.

    Die ASCOT-Studie hilft uns, ein Gefühl für die Größenordnung des Nutzens von Statinen zu bekommen. Die beiden Gruppen umfassten jeweils ca. 5.200 hypertensive Probanden. Innerhalb von gut drei Jahren beobachtete man in der Atorvastatingruppe 100 Herzinfarkte und kardiale Todesfälle, in der Placebogruppe waren es 154.

    In der Sprache der Statistik heißt das: relative Risikoreduktion um 36%. In meiner ärztlichen Gedankenwelt bedeutet es, dass ich 5.000 kardiovaskuläre Risikopatienten drei Jahre lang behandeln muss, um 50 kardiale Ereignisse zu verhindern. Die Number needed to treat liegt bei etwa 100 — so viele Personen muss man drei Jahre lang mit einem Statin behandeln, um ein kardiales Ereignis zu verhindern.

    Übrigens ließ sich in der ASCOT-Studie auch bei den Schlaganfällen ein positiver Effekt ermitteln, der allerdings noch etwas geringer ausfiel: In der Placebogruppe ereigneten sich 121, in der Statingruppe 89 Apoplexe. Statistisch gesehen wurde die Häufigkeit um 27% relativ reduziert.

  5. 5.

    Diese Betrachtungen sollen keinesfalls eine klar indizierte Statintherapie infrage stellen. Sie sollen vielmehr ein Gefühl geben für die Größenordnung des Therapieerfolgs, den wir von der Substanzgruppe erwarten dürfen.