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Ob eine Therapie wirkt, hängt auch von der ärztlichen Zuwendung ab.

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_ Unter Placeboeffekten versteht man positive physiologische und psychologische Veränderungen nach der Einnahme von Medikamenten ohne spezifischen Wirkstoff oder nach Scheineingriffen. „Wir wissen heute, dass auch neuropsychologische Phänomene wie Erwartungshaltung der Patienten bzgl. der Wirkung einer Therapie, assoziative Lernprozesse und die Qualität der Arzt-Patienten-Beziehung für den Placeboeffekt entscheidend sind“, erläuterte Prof. Ulrike Bingel, Essen. Diese Prozesse induzieren komplexe psycho-neurobiologische Phänomene im ZNS, die wiederum peripher-physiologische Abläufe und Endorganfunktionen modulieren.

Erwartung verspricht Erfolg

Der z. T. sehr ausgeprägte Benefit von Placebobehandlungen selbst im Vergleich zu einer medizinischen Standardbehandlung konnte in der GERAC-Akupunktur-Studie, einer großen kontrollierten, randomisierten Untersuchung bei 1.000 Patienten mit chronischen Rückenschmerzen, dokumentiert werden. Es ergab sich kein Unterschied zwischen der Verum- und der Scheinakupunktur, aber ein signifikanter positiver Unterschied für beide Akupunkturstrategien gegenüber der medizinischen Standardbehandlung. „Die Studie zeigt, dass eine Scheinbehandlung durchaus wirksam sein kann, wenn der Patient eine Wirksamkeit erwartet“, so Bingel. Wer an etwas glaubt, dem hilft es auch.

Lernen beeinflusst die Wirkung

Auch Lernvorgänge gehören zu den Schlüsselmechanismen von Placebo-, aber auch Noceboantworten. So führt die wiederholte Assoziation eines neutralen Stimulus wie Aussehen oder Geschmack einer Tablette mit der pharmakologischen Wirkung der Tablette zu einer „konditionierten“ Reaktion, d. h. nach wiederholter Einnahme der Tablette kann die Wirkung auch durch eine wirkstofffreie Tablette ausgelöst werden. Solche konditionierten Effekte konnten auch nach wiederholter Gabe von intranasalem Insulin im Hinblick auf die körpereigene Insulinsekretion bzw. den Blutzuckerspiegel nachgewiesen werden.

Placeboanalgesie

Der Einfluss kognitiv-emotionaler Faktoren auf die zentrale Schmerzwahrnehmung bzw. -modulation und die spinale Schmerzverarbeitung und somit auf die Schmerzchronifizierung ist heute gut belegt, d. h. kognitiv-emotionale Faktoren können die Schmerzleitung im Rückenmark hemmen oder begünstigen. „In die Placeboantworten sind dieselben physiologischen Systeme involviert, die auch Angriffspunkte pharmakologischer Therapien sind“, so Bingel.

Placeboeffekte in der Praxis

Aus ethischen und juristischen Gründen verbietet sich die Gabe „reiner“ Placebos, wenn der Patient nicht über das Wesen der Behandlung informiert ist. „Doch die zugrundeliegenden Placebomechanismen wie Erwartung und Lernen und auch eine gezielte Arzt-Patienten-Kommunikation sollten genutzt werden, um die Wirkung von pharmakologischen und anderen Behandlungen zu optimieren“, empfahl Bingel. Der Einsatz solcher „Placebomechanismen“ verletze keinerlei ethische Grenzen. Dazu gehören:

  • Patientenverständliche Aufklärung über Erkrankung und Behandlung

  • Formulierung individueller Therapieziele

  • Vermeiden unrealistischer Erwartungen

  • Berücksichtigung individueller Präferenzen bei der Behandlung

  • Kopplung der medikamentösen Therapie mit sensorischen Ereignissen (Gefühl, Geschmack, Geruch)

  • Kombination von Medikamenten mit nicht-medikamentösen Maßnahmen wie z. B. Entspannungstechniken bei der Schmerztherapie

  • Behandlung der Komorbiditäten Angst bzw. Depression

  • Empathische und authentische Arzt-Patienten-Kommunikation.