figure 1

Den Patienten nicht als Träger einer Diagnose, sondern als kranken Menschen sehen.

© gilaxia / iStock

_ „Mit mir hat kein Mensch gesprochen, ich höre das zum ersten Mal, die Ärzte hatten ja keine Zeit für mich.“ Solche Sätze sind Ihnen sicherlich nicht unbekannt. Sie werden sie als Hausarzt nicht selten von Tumorpatienten, die nach einer komplexen Therapie wieder in Ihrer Praxis auftauchen, zu hören bekommen. Und dies, obwohl in der Klinik wiederholte Aufklärungsgespräche stattgefunden haben.

Die Visite — eine große Enttäuschung

„Dies zeigt, dass die subjektive Patientenwahrnehmung eine andere ist. Wir müssen das zur Kenntnis nehmen“, so Dr. Dorothea Bleyl, Dresden, auf dem von Springer Medizin Verlag veranstalteten Interprofessionellen Gesundheitskongress. . Dies sei sicherlich auch dem Zeitfaktor geschuldet: Ein Arzt-Patienten-Gespräch in der Klinik dauert durchschnittlich vier Minuten, für Angehörige stehen nur 20 Sekunden zur Verfügung. Auf die Frage, wie der Arzt mit ihren Fragen und Sorgen umgeht, antwortet nur jeder Zweite mit „sehr gut“. Für den Tumorpatienten ist das Arztgespräch also nicht nur eine Frage des Ob, sondern vor allem des Wie. So bewahrheitet sich im klinischen Alltag, was Thomas Bernhard in seinem Buch „Der Atem: Eine Entscheidung“ schreibt: „Die Visite, der Höhepunkt an jedem Tag, war gleichzeitig immer die große Enttäuschung gewesen.“

Asymmetrische Arzt-Patienten- Beziehung

Ein Patient, der mit der Diagnose „Krebs“ konfrontiert wird, entwickelt Gefühle wie Angst, Trauer, Verunsicherung und Gedanken über die noch verbleibende Lebenszeit. Dazu kommen Verhaltensweisen wie etwa der Wille, „der Statistik ein Schnäppchen zu schlagen“. Daraus ergeben sich Kommunikationssituationen, die nicht immer einfach sind.

Aber auch in der Rezidivsituation und in der Phase „Nun können Sie wohl nichts mehr für mich tun“ bedarf es einer einfühlsamen Kommunikation. „Jede Kommunikation hat einen Inhalts- bzw. Sach- und einen Beziehungsaspekt, wobei letzterer den ersteren bestimmt“, so Bleyl. Somit sei jede sachbezogene Informationskommunikation auch immer eine Beziehungskommunikation. Diese sei natürlich zwangsläufig asymmetrisch; denn dem verunsicherten, ängstlichen und somit vulnerablen Patienten stehe ein in solchen Situationen professionell agierender Arzt gegenüber. „Mit anderen Worten, Arzt und Patient teilen per se nicht dieselbe Wirklichkeit“, so Bleyl. Und dies erschwert die Kommunikation.

Emotionale Bedürfnisse des Patienten erfüllen

Doch der Patient möchte als Person wahrgenommen und respektiert werden, er sucht eine Bindungsfigur, wobei die technischen Aspekte der Kommunikation eher zurücktreten. Arzt und Patient müssen sich zwar als ungleiche, aber gleichberechtigte Partner begegnen. Dies setzt Respekt vor dem Gegenüber und seiner Andersartigkeit, Vertrauen, Zuwendung, aktives Zuhören und Gesprächsfähigkeit voraus.

Gelingt eine solche Beziehung, so erleichtert dies das Treffen von Entscheidungen und verbessert die Compliance. „In einer solchen Begegnung zwischen Arzt und Patient erwächst die Personalität des Patienten, die ihn nicht zum Träger einer Diagnose, sondern zu einem erkrankten Menschen macht“, so Bleyl. Eine solche Beziehung ermögliche ein Heilungsgeschehen gerade auch da, wo die Hochleistungsmedizin sprachlos zu werden drohe oder gar den Anspruch an ein Wiedererlangen der Gesundheit aufgeben müsse.