Avoid common mistakes on your manuscript.
Es ist Mitte März und die Influenzawelle befindet sich noch auf ihrem Höhepunkt. Zu den möglichen Ursachen befragten wir Prof. Klaus Wahle aus Münster.
MMW: In den ersten Wochen des Jahres hat die Grippeaktivität stark zugenommen. Wie ist die aktuelle Situation?
Wahle: Von der KW 7 zur KW 8 ist die Aktivität etwas zurückgegangen, in KW 9 und 10 hat sie aber wieder zugenommen und ist jetzt wieder auf dem hohem Niveau der KW 7. Es ist also keine Rede davon, dass die Grippewelle überstanden ist. In den letzten Wochen hat es zudem eine Altersverschiebung bei den Neuerkrankungen gegeben, weg von über 30-Jährigen hin zu Kindern und jungen Erwachsenen. Eine mögliche Erklärung ist das überraschende Auftreten der von der WHO nicht für den aktuellen Impfstoff empfohlenen B-Linie Victoria.
MMW: Welche Rolle spielt diese B-Linie bei den derzeitigen Neuerkrankungen?
Wahle: Früher war bei den Influenza-B-Viren nur die Yamagata-Linie relevant. In den letzten Jahren hat sich daneben eine zweite Linie stabilisiert, die Victoria-Linie. Aktuell werden ungefähr 55% der Grippefälle durch Influenza B verursacht, also mehr als durch Influenza A. Und unter den B-Viren hat sich die Victoria-Linie in den letzten Wochen extrem stark durchgesetzt, und sie ist jetzt die klar überwiegende Linie.
MMW: Welche Folgen hat es, dass der aktuelle trivalente Impfstoff diese B-Linie nicht enthält?
Wahle: Die Konsequenzen der falschen Impfstoffzusammensetzung spüren wir jetzt. Influenza-B-Viren führen zu den gleichen schweren Symptomen und Komplikationen wie Influenza A. Dadurch sind vor allem chronisch kranke Patienten gefährdet.
MMW: Gibt es durch den nicht passenden Impfstoff einen Imageschaden?
Wahle: Die Influenzaimpfung ist in den letzten Jahren sehr kritisch beurteilt worden, weil von der WHO im Februar wiederholt Impfstämme empfohlen wurden, die nicht deckungsgleich waren mit den in der kommenden Saison dominierenden Viren. Das liegt unter anderem daran, dass sich die Influenza-A-Viren, wenn sie sich von Südostasien nach Nordeuropa ausbreiten, stark verändern können. Und bei Influenza B gibt es eben zwei parallele Linien.
MMW: Der tetravalente Totimpfstoff, der seit 2013 zugelassen ist, deckt beide B-Linien ab. Kann man abschätzen, wie er die Schutzwirkung gegenüber der trivalenten Vakzine verbessert?
Wahle: Mit der zweiten B-Linie erreicht man durchschnittlich eine um 18% höhere Effektivität. In diesem Jahr wäre die Influenzasaison sicher anders verlaufen, wenn wir statt der Drei- die Vierfachvakzine verwendet hätten. Aus meiner Sicht gehören in einen vernünftigen Impfstoff beide B-Linien.
MMW: Hat der Vierfachimpfstoff auch Nachteile?
Wahle: Mir sind keine bekannt.
MMW: Bisher wird der Vierfachimpstoff nicht von der GKV angeboten.
Wahle: Hier haben die gesetzlichen Krankenkassen am falschen Ende gespart. Es gibt ja einen tetravalenten Impfstoff. Aufgrund der Ausschreibungsverfahren wird aber nicht der beste, sondern der billigste Impfstoff erstattet.
MMW: Wie äußern sich WHO und STIKO zu Drei- bzw. Vierfachimpfstoff?
Wahle: Die WHO empfiehlt die Zusammensetzung für den Dreifachimpfstoff, und sie gibt vor, dass der Vierfachimpfstoff zusätzlich die zweite B-Linie enthalten soll. Aber die WHO legt sich nicht fest, ob der Drei- oder der Vierfachimpfstoff zu bevorzugen ist. Die STIKO greift die zweite WHO-Empfehlung gar nicht auf, sondern beschränkt sich auf die Empfehlung für den Dreifachimpfstoff. In der aktuellen Saison wäre der tetravalente aber eindeutig der sicherere und effektivere gewesen.
MMW: Wie lauten die Empfehlungen der WHO für die Influenza-Saison 2016/17?
Wahle: Die WHO empfiehlt für den Dreifachimpfstoff einen Wechsel der B-Linie, er soll dann nicht mehr Yamagata, sondern B aus der Victoria-Linie enthalten. Auch bei den beiden A-Stämmen wird es einen Wechsel geben. Die WHO reagiert also auf die jetzige Saison. Aber ob der Victoria-Stamm in der nächsten Saison tatsächlich der dominierende B-Virus sein wird, weiß heute niemand. Was wir wissen ist, dass es zwei B-Linien gibt, die parallel nebeneinander laufen. Die einzig richtige Konsequenz ist, den Menschen den tetravalenten Impfstoff anzubieten.
Interview: Dr. Beate Schumacher
Author information
Consortia
Rights and permissions
About this article
Cite this article
Springer Medizin. „Victoria hat uns überrascht“. MMW - Fortschritte der Medizin 158, 16 (2016). https://doi.org/10.1007/s15006-016-7971-0
Published:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/s15006-016-7971-0