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Prof. Dr. med. Hermann S. Füeßl

_ Gibt man in Google „Anorexia nervosa“ ein, erhält man über 4,8 Mio. Links. Diese Zahl zeigt, dass es sich hier nicht nur um ein häufiges und gravierendes Gesundheitsproblem handelt. In Zeiten der idealisierten „Size-zero-Models“ auf den Laufstegen dieser Welt gibt es gerade unter Mädchen und jungen Frauen kaum ein Thema, das mehr diskutiert wird als Figur und Körpergewicht. Im Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS) von 2008 empfanden sich 54% der 11- bis 17-jährigen Mädchen als zu dick. Nach den BMI-Kriterien sind dagegen „nur“ 17,8% übergewichtig bis adipös. Offensichtlich besteht ein gewaltiger Hiatus zwischen Selbstbild und tatsächlichen Gegebenheiten.

Besonders ausgeprägt ist diese Diskrepanz bei Anorexia nervosa. Die Körperschemastörung bewirkt nicht nur eine fortwährende Beschäftigung mit den Themen Essen, Gewicht und Aussehen; sie treibt die Betroffenen in ein gefährliches Untergewicht mit multiplen Gesundheitsstörungen, die wegen des vermeintlichen „Zu-dick-seins“ ungenügend wahrgenommen bis ignoriert werden. Die Anorexia nervosa hat eine der höchsten standardisierten Mortalitätsraten aller psychischen Störungen und ist diesbezüglich vergleichbar mit Suchterkrankungen.

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Mehr als 50% der 11- bis 17-jährigen Mädchen empfinden sich als zu dick.

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Da sie bevorzugt bei Jugendlichen auftritt, beeinträchtigt sie das in diesem Alter besonders dynamische Wachstum von Skelett, Muskulatur und Gehirn und hinterlässt möglicherweise irreversible Veränderungen. Dies drückt sich in bleibenden gastrointestinalen Störungen sowie einer Häufung psychischer Erkrankungen und neuropsychologischer Veränderungen auch nach Bewältigung der Essstörung aus. Zudem neigt die Erkrankung zur Chronifizierung und zieht langdauernde Krankenhausaufenthalte, unterbrochene Ausbildungskarrieren und Störungen der familiären Beziehungen nach sich.

Leider vergehen aufgrund fehlender Krankheitseinsicht bis zur Diagnose oft viele Jahre. Die Betroffenen suchen von sich aus nur selten einen Psychiater oder Psychotherapeuten auf, sodass Hausärzte sensibilisiert sein sollten. Niedriges Körpergewicht, Wachstumsstörungen bei Kindern, verändertes Essverhalten, Gewichtssorgen als beherrschendes Thema, Zyklusstörungen, gastrointestinale Symptome, ungeklärte Blutbildveränderungen, v. a. Anämie, schlechter Zahnstatus und Mangelernährung sollten hellhörig machen und vorsichtiges Nachfragen induzieren.

Der Hinweis auf Konsequenzen für Wachstum und Gesundheit kann dazu beitragen, dass sich Betroffene in psychotherapeutische Behandlung begeben. Die Therapie ist schwierig, langwierig und oft von Rückschlägen gekennzeichnet. Daher muss sie in den Händen spezialisierter Therapeuten liegen. Die intensive Vernetzung zwischen ambulanter, stationärer und soziotherapeutisch orientierter Therapie ist unabdingbar für den langfristigen Erfolg. Der Hausarzt kann viel zur Früherkennung beitragen.