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Prof. Dr. med. H. S. Füeßl Privatpraxis für Integrative Innere Medizin, München

_ Obwohl die Fachgesellschaften zur Zurückhaltung mahnen, erfreut sich das Prostatakarzinom-Screening mittels PSA-Test großer Beliebtheit. Wegen der enorm hohen Prävalenz bei älteren Männern ergeben sich aber Probleme der Überdiagnostik. Wenn der PSA-Wert eine bestimmte Höhe übersteigt oder eine entsprechende Dynamik zeigt, empfehlen nach wie vor die meisten Urologen eine Prostatabiopsie, bei der dann auch häufig ein Karzinom gefunden wird. Doch was dann?

Eine systematische Auswertung von Autopsiestudien der letzten 60 Jahre lässt erhebliche Zweifel an der bisherigen Screening-Strategie aufkommen. Einbezogen wurden 29 qualitativ hochwertige Autopsiestudien aus 20 Ländern. Alle beschäftigten sich mit Männern, bei denen kein klinisch manifestes Prostatakarzinom vorhanden war und deren Todesursache nichts mit einer Prostataerkrankung zu tun hatte, deren Prostata aber autoptisch-histologisch untersucht worden war. Aus den Untersuchungen wurden die mittlere Karzinomprävalenz und die altersspezifische Prävalenz errechnet.

In allen Alterspopulationen wurden Prostatakarzinome festgestellt, ohne dass man einen Zeittrend beobachten konnte. Mit jeder Lebensdekade nahm die Karzinomprävalenz zu (Odds Ratio: 1,7), und sie war höher in Studien, die den Gleason-Score verwendeten (Odds Ratio: 2,0). Die geschätzte Karzinomprävalenz nahm in nichtlinearer Weise von 5% in der Altersgruppe der unter 30-jährigen auf 59% (95%-Konfidenzintervall 48–71%) in der Altersgruppe der über 79-jährigen zu.

KOMMENTAR

Wenn fast drei Viertel der alten Männer offensichtlich ein Karzinom in sich tragen, sich sich aber gleichzeitig nur wenige Prostatakarzinome außerhalb von Screening-Maßnahmen klinisch manifestieren, so kann das nur daran liegen, dass die Mehrzahl der Prostatakarzinome einen sehr langsamen und damit benignen Verlauf nehmen und die betroffenen Männer nicht am, sondern mit dem Prostatakarzinom sterben. Die alte plakative Hypothese des umstrittenen Chirurgen Julius Hackethal aus den 1970er-Jahren, wonach es einen „Haustier“- und einen „Raubtier“-Krebs gibt, findet durch die Untersuchung eine späte Bestätigung. Diese Umstände sollten Patienten mitgeteilt werden, ehe man in die diagnostische Kaskade PSA — Biopsie — histologischer Karzinombefund einsteigt. Schließlich stecken nicht alle Patienten eine Karzinomdiagnose problemlos weg.