Bei der männlichen Gynäkomastie erfolgt viel zu häufig eine diagnostische Plethora, die angesichts der Seltenheit relevanter pathologische Befunde in keinem Verhältnis zum möglichen Ergebnis steht. Hier wäre mehr ärztliche Zurückhaltung gefragt.

Prof. Dr. med. H. S. Füeßl Privatpraxis für Integrative Innere Medizin, München
_ Die Gynäkomastie ist die häufigste Veränderung der männlichen Brustdrüse. Obwohl es auch hier zu Karzinomen kommen kann, ist die Häufigkeit um mehrere Größenordnungen geringer als im Falle der weiblichen Brust. Trotzdem betrachten viele Ärzte eine Bildgebung als essenziellen Bestandteil der Diagnostik.
Dass dies nicht gerechtfertigt ist, zeigt eine retrospektive Untersuchung an 557 Patienten, die in den letzten zehn Jahren in der radiologischen Abteilung des Amsterdamer Universitätsklinikums untersucht wurden. 74% wurden wegen einer Gynäkomastie oder Schwellung, 24% wegen Schmerzen und 10% wegen Knotenbildung überwiesen. Bei 75% der Patienten wurden eine Mammografie, bei 51% eine Ultraschalluntersuchung und bei 26% beide Verfahren eingesetzt. Nach der BI-RADS-Klassifikation des American College of Radiology wurde bei 519 Patienten ein Befund Klasse 1 oder 2 erhoben, also ein Normalbefund oder ein sicher benigner Befund. 38 Patienten wiesen BI-RADS 3 oder höher auf. Der Einsatz von Feinnadelaspirations-Zytologie oder Biopsie bei 160 Patienten ergab nur in fünf Fällen (0,89%) einen malignen Befund. Bei diesen fünf Patienten war allerdings auch die klinische Untersuchung bereits verdächtig auf das Vorliegen eines Malignoms gewesen.
Dagegen wurde bei keinem einzigen Patienten zufällig ein asymptomatisches Malignom entdeckt. Die bildgebenden Verfahren hatten eine Sensitivität von 80% und eine Spezifität von 99%. Der positive prädiktive Wert errechnete sich mit 44%, der negative prädiktive Wert mit 90,8%. Die Wahrscheinlichkeit eines Malignoms der männlichen Brustdrüse ist so gering, dass die Autoren vom Einsatz jeder Bildgebung bei der Gynäkomastie des Mannes abraten.
KOMMENTAR
Gerade weil die männliche Brustdrüse einer klinischen Untersuchung so gut zugänglich ist, sollte man seinem klinischen Urteil voll vertrauen und nur bei solchen Patienten eine Bildgebung initiieren, die tatsächlich einen Tastbefund aufweisen, der über die bloße Vergrößerung der Brustdrüse hinausgeht. Das ist wieder ein Punkt auf der immer länger werdenden Liste der ärztlichen Kunst des Unterlassens.
Literatur
Lapid O, Siebenga P, Zonderland HM. Overuse of imaging the male breast — findings in 557 patients. Breast J. 2015;21:219–23
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Füeßl, H.S. Überdiagnostik bei Gynäkomastie des Mannes. MMW - Fortschritte der Medizin 157, 40 (2015). https://doi.org/10.1007/s15006-015-3659-0
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