_ Seit etlichen Jahren besuche ich einen Volkshochschulkurs Italienisch, weil ich gerne nach Italien fahre und weil ich dort Freunde gefunden habe, mit denen ich mich in ihrer Muttersprache unterhalten mag. Üben kann ich in meiner Praxis. Meine italienischen Patienten werden nur noch italienisch angesprochen.

Als ein neuer Patient — nicht Angelo Branduardi und leider auch nicht Andrea Bocelli, jedoch an seinem Namen unschwer als Italiener zu identifizieren — mein Zimmer betritt, begrüße ich ihn mit einem herzlichen „Buon giorno“, komme ins Schwärmen, befrage ihn auf Italienisch nach seinen Beschwerden ... und schaue in ein verständnisloses Gesicht.

„Frau Doktor“, sagt er, „ische kanne überhaupt keine italienisch mehr ...“

Ob Italiener Angst vorm Blutabnehmen haben? Sagen wir mal so, ein paar von „meinen“ Italienern schon. Zu diesen gehört auch ein junger Mann, ein giovanotto also, aus Neapel. Diese dunklen angsterfüllten Augen sind herzerweichend und ich frage mich, was tun? In diesen Fällen hilft oft singen und ich fange schon mal an (mit dem Blutabnahmeequipment hinter meinem Rücken): „Laciate mi cantare ...“ sofort singt mein Patient weiter: „con la guitarra in mano ...“ Die Strophe endet dann auf „italiano vero“(ein echter Italiener), was wir im Chor singen. Ich entdecke eine wunderbare Stimme, streite mich schnell, ob das Lied von Adriano Celentano oder Toto ist. Er hat recht, es ist von Toto und sein Blut habe ich längst abgenommen. Er hat nix gemerkt und heißt ab diesem Tag „bella voce“ (schöne Stimme). Ich glaube, mittlerweile liebt er es, von mir Blut abgenommen zu bekommen.