_ Seit mehreren Jahren betreute ich ein Geschwisterpaar, das sich seit langer Zeit im Rheinmaingebiet niedergelassen hatte, aber aus dem tiefsten Oberbayern stammte. Es waren zwei liebe, aber auch recht wunderliche Leutchen, die schon häufig meine Hilfe in Anspruch genommen hatten. Sie hatte schweres Asthma und eine Herzinsuffizienz, er eine schwere Polyarthrose, trug einen ICD-Schrittmacher und war dem Tod schon mehrmals von der Schippe gesprungen.

In diesem schweren Winter ging es der Patientin äußerst schlecht. Sie konnte das Haus nicht verlassen. Einkäufe und insbesondere den Weg zur Bank musste der Mann alleine erledigen.

Der Weg zur Bank war nicht sehr weit, unter zwei Kilometer, konnte aber wegen der winterlichen Straßenverhältnisse von dem alten Mann nur mit dem Taxi zurückgelegt werden Da Taxifahrer über eine derart kurze Fahrt meist nicht begeistert sind, hoffte der Patient einen Fahrer zu finden, der nicht diskutierte und auch nicht zu unfreundlich war.

An diesem Tag ging die Hinfahrt recht gut, aber auf der Rückfahrt erwischte er einen Taxifahrer, der auf die Aussicht, nur ein paar Euro zu verdienen, äußerst mürrisch und genervt reagierte. Ganze sieben Minuten dauerte die Fahrt. Das Taxi hielt auf der gegenüberliegenden Straßenseite an. Der Fahrer drängte den alten ungelenken Mann aus dem Taxi. Kaum hatte dieser seine Taschen aus dem Auto genommen und die Tür geschlossen, rauschte der Fahrer davon.

Mit zwei Taschen in der Hand am Straßenrand im Schnee rutschte der Patient beim Überqueren der Straße aus und verdrehte sich dabei das rechte Knie. Mit Hilfe von Passanten wurde er in die Wohnung gebracht. Dort lag er noch, als ich zwei Stunden später bei ihm zum Hausbesuch erschien. Sein Knie war geschwollen. Ich vermutete einen Schienbeinkopfbruch und erledigte alles für die notwendige Einweisung.

Die aufgeregte Schwester tröstete ich mit der Aussicht, dass ihr Bruder ja vielleicht bald wieder aus dem Krankenhaus entlassen würde. Leider hatte ich damit nicht Recht. In der Klinik ging einiges schief, es kam zu einer Infektion des operierten Schienbeinkopfbruches, eine Lungenentzündung mit letztendlich tödlichem Ausgang folgte.

Eine ungeräumte Straße, ein unhöflicher Taxifahrer und eine Klinik wurden zum Schicksal für dieses Geschwisterpaar. Einen Monat nach ihrem Bruder verstarb auch die Schwester. Ob das an ihrer Herzmuskelschwäche lag oder an der Einsamkeit im Leben ohne den Bruder, soll sich jeder selbst ausmalen.