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Dr. Kau (rechts) mit einem Ruderer des Goldachters von London 2012.

© Ulrich Kau

_ Als leitender Verbandsarzt des Deutschen Ruderverbandes (DRV) seit 2006 und betreuender Arzt im Hochleistungssport seit 2002 sehe ich eine gewisse Diskrepanz. Auch im DRV herrschte Anfang des Jahrtausends ganz klar die Meinung vor, dass zu einem Zielwettkampf wie z. B. einer WM ein Internist und ein Orthopäde gehören. Nur so könne man das medizinische Spektrum abdecken. Zu den Trainingslagern bediente man sich aber schon damals Ärzten mit einem breiteren medizinischen Wirkungsspektrum.

Mein erstes Lager, das ich betreute, war im Jahr 2002 auf ca. 2000 m Höhe mit dem Deutschlandachter. Es waren 25 Athleten und fünf Betreuer medizinisch zu versorgen. Das normale Alltagsgeschäft bestand darin, internistische (Infekte, Bauchschmerzen) und HNO-Erkrankungen (Sinusitiden, Pfeiffer etc.), orthopädische Probleme (Rückenschmerzen, Tendinitiden etc.), Hautveränderungen oder ab und an eine Distorsion zu behandeln, nicht zu vergessen die psychosoziale Komponente, die Gespräche am Abend mit einzelnen Sportlern über Probleme, Ängste und ihre Symptome. Insgesamt fand ich mich voll in meiner Praxis wieder. Gefragt waren eine fundierte Untersuchung, eine kurzfristige und schnelle Entscheidung, wie der Sportler einsetzbar ist, wie rehabilitativ und präventiv weiter zu verfahren ist. Hier konnte und kann man sich als Allgemeinmediziner gut behaupten.

Den Vorteil einer solchen Betreuung erkannten am schnellsten die Athleten/-innen und Trainer/-innen, während die Funktionäre zunächst klassisch an der universitären sportmedizinischen Betreuung festhielten. Erst auf Druck der Athleten und Trainer wurde ich nach Ausscheiden meines Vorgängers 2006 zum leitenden Verbandsarzt bestimmt. Seitdem arbeiten wir im DRV in unserem medizinisch-therapeutischen Team fast ausschließlich mit Allgemeinmedizinern mit großem Erfolg und auch guter Kollegialität. Bei speziellen Fragestellungen ziehen wir Fachärzte hinzu.

Dies scheint jedoch, von einzelnen Amateursportverbänden abgesehen, eine Ausnahme zu sein. Der ganzheitlichen Betreuung des Allgemeinmediziners wird zwar Respekt gezollt — zu „Höherem“ oder sogar zu wissenschaftlichen Arbeiten verweist man dann doch lieber auf die „Fachärzte“.

Sind wir nicht auch Fachärzte?

Aber sind nicht auch wir „Fachärzte“?! Auch wir besitzen durch unsere langjährige Erfahrung ein fundiertes, breites Wissen, das wir praktisch umsetzen. Warum führen wir dann, wie z. B. im Hochleistungssport, ein Schattendasein? Die Betreuung am Athleten, die 24-Stunden-Erreichbarkeit, sich um die Sorgen und die Nöte des einzelnen zu kümmern — das ist unser Job, und das machen wir tagtäglich. Ich denke, wir sollten uns und unsere Lobby mehr stärken und etwas selbstbewusster auftreten, denn die allgemeinmedizinische Kompetenz ist so wie im Hochleistungssport in vielen anderen Gebieten unseres alltäglichen Lebens gefragt.

Als Lehrbeauftragter der Universität Mainz versuche ich dies auch meinen Studenten zu vermitteln und hoffe, auch sie erkennen das Potenzial, das in der Allgemeinmedizin steckt. So werden wir weiter an unserem medizinischen Konzept im Deutschen Ruderverband festhalten und können vielleicht Denkanstöße in die Deutsche Sportmedizin senden.