_ Rund um die Uhr Zugang zu hochkalorischer Nahrung, gleichzeitig lachen von Plakaten und Hochglanzmagazinen magersüchtige Models — das kann die Wahrnehmung des eigenen Körpers bei jungen Mädels schon durcheinander bringen und zu extremen Diäten führen. Für Prof. Ulrike Schmidt vom Kings’s College in London sind Magersucht und Bulimie in ähnlichem Maße Auswüchse unserer Wohlstandsgesellschaft wie Adipositas.

Die Zahl der jährlichen Anorexie-Neuerkrankungen in Industrieländern liegt seit zehn Jahren relativ konstant bei 10–15 pro 100 000 Frauen unter 50 Jahren, 20–25 pro 100 000 sind es für Bulimie. Andere Essstörungen wie Binge Eating sind sogar deutlich häufiger geworden. Hier ist die Inzidenz innerhalb von zehn Jahren von 17 auf 26 pro 100 000 gestiegen.

Programme mit Lehrern gehen oft schief

In Großbritannien hatte sich vor einiger Zeit das Parlament mit dem Thema Essstörungen beschäftigt. Medien wurde geraten, auf Werbung mit magersüchtigen Models zu verzichten, auch sollten Eltern und Lehrer für die Problematik sensibilisiert werden. So wurde die Einführung von Unterrichtseinheiten empfohlen, die ein positives Körperselbstbild und Selbstwertgefühl vermitteln. Allerdings, so Schmidt, sind viele solcher Programme in der Vergangenheit gescheitert, vor allem, wenn sie von Lehrern ausgeführt wurden. Offenbar werden diese hier oft nicht als kompetent und vertrauenswürdig wahrgenommen.

figure 1

Freiwillig auf Wasser und Brot gesetzt.

© Alina Isakovich/fotolia

Inzwischen haben die Briten ein Programm getestet, das von Experten, Lehrern und Jugendlichen gemeinsam entwickelt wurde. In sechs Unterrichtseinheiten wird ein besserer Umgang mit Medien vermittelt, die ein unnormales oder unerreichbares Körperbild propagieren. Jugendliche sollen zudem lernen, sich untereinander weniger negativ über das Aussehen anderer zu äußern.

In einer Studie mit knapp 450 Schülerinnen im Alter von 12–14 Jahren ließen sich durch das Programm Selbstvertrauen und Körperselbstbild signifikant bessern. Diese Faktoren blieben auch noch drei Monate nach Studienende konstant gut, dagegen wurden sie in einer Kontrollgruppe schlechter.

Familienbasierte Therapie für Jugendliche

Bei manifester Essstörung hilft Jugendlichen oft die familienbasierte Therapie. Hierbei werden die Eltern miteinbezogen, sie sollen in einem mehrphasigen Ablauf zugleich einen unterstützenden und kontrollierenden Einfluss ausüben. Damit kann bei 60–80% der Anorexiepatienten innerhalb von fünf Jahren ein normales Gewicht erzielt werden, sagte Schmidt. Das Verfahren sei damit Einzeltherapien weit überlegen.

Vorteile kognitiver Verhaltenstherapie

Schwierig wird es jedoch bei Erwachsenen mit Anorexie. In Studien hat sich kaum eines der vielen Psychotherapieverfahren als überlegen erwiesen, lediglich bei der Rückfallprophylaxe scheint eine kognitive Verhaltenstherapie (KVT) Vorteile zu haben, erläuterte Schmidt. Auch die Erfolgsquote ist niedriger als bei Jugendlichen: Nach einem Jahr erreichen nur 20–30% ein normales Gewicht, nach fünf Jahren 40–50%.

Bei der Bulimia nervosa gilt eine besondere Form der KVT als Mittel der Wahl: die KVT-Enhanced. Sie eignet sich auch, um emotionale Dysregulation und soziale Probleme anzusprechen. Vielversprechend sind zudem andere auf der KVT basierende Verfahren wie die Dialektisch-Behaviorale Therapie.

Schließlich ist auch beim Binge Eating die Evidenz für die KVT am besten. Allerdings sei bei solchen Patienten auch die Interpersonelle Psychotherapie wirksam, so Prof. Martina de Zwaan von der Medizinischen Hochschule in Hannover. Sie wies aber darauf hin, dass Psychotherapie beim Binge Eating zwar die Essattacken und den Kontrollverlust lindert, nicht aber zu der Gewichtsreduktion führt, die sich viele der oft adipösen Binge Eater wünschen. Hier müsse man falschen Erwartungen vorbeugen. Bei extremem Übergewicht sei die Adipositas-Chirurgie eine Option — Binge Eating ist hier keine Kontraindikation.