Kaum ein Wort wird in der Medizin derzeit so strapaziert wie der Begriff „Nutzenbewertung“. Es eignet sich durchaus als Unwort des Jahres. Neue Medikamente sollen sogar einen Mehrnutzen bringen, und dies sei, so die Autoren des alljährlich erscheinenden Verordnungsreports, bei über der Hälfte aller neu zugelassenen Medikamente nicht der Fall. Diese Aussage ist schon deshalb unrichtig, weil die Hersteller ja in jedem Fall einen Zusatznutzen, sprich Gewinn erwarten dürfen.

Doch da fragt man sich schon, was dieser Unsinn eigentlich soll. Haben Sie sich etwa bei dem Kauf von ein Paar neuen Schuhen oder gar einer neuen Unterhose auch schon einmal gefragt, ob das Neue für Sie einen wirklichen Zusatznutzen bringt? Würden Sie auf eine solche Neuanschaffung etwa verzichten, wenn die neue Unterhose nicht besser funktioniert als die alte?

So sollten wir es bei den Medikamenten wohl auch sehen. Es ist doch einleuchtend, dass Patienten nicht immer dasselbe, sondern mal etwas Anderes schlucken möchten, nicht immer die blaue, sondern vielleicht jetzt eine rosa Tablette oder eine runde statt einer eckigen – unabhängig davon, ob die nun mehr bringt als die alte. Solchen optischen und sicherlich auch pharmakologischen Abnutzungserscheinungen muss man entgegenwirken, indem man immer wieder etwas Neues auf den Markt bringt, und dies darf dann auch etwas teurer sein. Zusatznutzen hin oder her!

Diese Botschaft hat die Pharmaindustrie erfreulicherweise richtig verstanden, sodass sie uns ständig mit „Neuem“ – auch Innovationen genannt – beglückt. Dafür sollte man ihr dankbar sein und sie nicht ständig mit unsinnigen Forderungen nach Mehrnutzen verärgern; denn nur so lässt sich die viel beschworene Patienten-Compliance nachhaltig sichern. Was neu ist, ist auch sexy, ob es mehr kann oder nicht, muss niemanden interessieren und sollte auch nicht unbedingt überprüft oder gar kritisch hinterfragt werden.

Dies gilt übrigens auch für zwischenmenschliche Beziehungen. Wer sein Privatleben nach dem Konzept der seriellen Monogamie gestaltet, sollte keinesfalls die Frage nach dem Mehrnutzen stellen, denn beim nächsten neuen Mann oder der nächsten neuen Frau wird es auch nicht besser.