Unseren Lesern steht seit Kurzem ein neuer Online-Service zur Verfügung: Unter www.springermedizin.de/mmw-sprechstunde erhalten Sie Rat in kniffligen Fällen. Unsere Experten, Prof. H. S. Füeßl und Dr. med. P. Stiefelhagen, beantworten — meist innerhalbvon 48 Stunden — medizinische Fragen, die sich in Ihrem Praxisalltag ergeben.

Frage von F. S.:

Ein 46-jähriger Mann, den ich seit vier Jahren wegen einer leichten Hypertonie betreue, hat seit vielen Jahren Serumharnsäure-Werte zwischen minimal 7,4 und maximal 9,0 mg/dl. Bei den letzten beiden Kontrollen im Abstand von sechs Monaten wurden Harnsäure-Werte von jeweils 8,4 mg/dl gemessen. Der Patient ist genetisch nicht mit Gicht vorbelastet, hatte nie Gelenkbeschwerden im Sinne von Gichtanfällen. Tophi fanden sich bislang nicht. Soll bei diesem Patienten eine medikamentöse Senkung der Harnsäure vorgenommen werden?

MMW-Experte Prof. Füeßl:

Bei dem Patienten liegt offensichtlich eine asymptomatische Hyperurikämie vor, bei der die Serumharnsäure konstant erhöht ist, jedoch keine Symptomatik vorliegt. Eine anhaltende Hyperurikämie kann in zwei Kategorien eingeteilt werden:

  1. 1.)

    die lebenslang vorhandene primäre Hyperurikämie ohne Begleiterkrankungen oder Einnahme von Medikamenten, welche die Harnsäureproduktion oder -exkretion beeinflussen;

  2. 2.)

    die sekundäre Hyperurikämie aufgrund erhöhter Uratproduktion oder verringerter Clearance im Gefolge von Nierenkrankheiten, Medikamenten, diätetischen Faktoren oder Toxinen.

Früher nahm man an, dass die asymptomatische Hyperurikämie langfristig zu akuten Gichtanfällen und einer chronisch-tophösen Gicht führen würde. Epidemiologische Untersuchungen zeigten aber, dass akute Gichtanfälle, die Harnsäure-Urolithiasis, Tophusbildung und die chronische Uratnephropathie selbst bei Personen mit langjährig bestehender Hyperurikämie relativ seltene Ereignisse darstellen. Langzeituntersuchungen über 14 Jahre hinweg zeigten, dass nur 12% der Patienten mit Harnsäurekonzentrationen zwischen 7,0 und 7,9 mg/dl eine Gicht entwickelten.

Für die Ausbildung einer Urolithiasis ist die Ausscheidung von Harnsäure im Urin entscheidend. Bei Werten über 1100 mg pro Tag steigt die Inzidenz der Urolithiasis auf fast 50%.

Bezüglich der Entwicklung einer Urat-Nephropathie hat es sich gezeigt, dass diese Gefahr erst ab einem Serum-Harnsäurewert von mindestens 13 mg/dl bei Männern und 10 mg/dl bei Frauen relevant ist.

Wird bei einem asymptomatischen Patienten eine Hyperurikämie festgestellt, so sollte man zunächst mittels Anamnese, körperlicher Untersuchung und einfachen Laborbefunden nach möglicherweise vorliegenden behandelbaren Ursachen für die Hyperurikämie suchen. Der Alkoholkonsum des Patienten sollte erfragt werden. Ergeben sich bei diesen Punkten keine Hinweise, so sollte man die Harnsäureausscheidung im 24-h-Urin unter einer Standarddiät, aber unter Alkoholkarenz und Weglassen aller Medikamente untersuchen.

Eine Hyperurikosurie ist definiert als Harnsäureausscheidung über 800 mg/Tag. In diesem Fall empfiehlt sich eine Wiederholung der Urinsammlung nach einer drei bis fünftägigen proteinarmen Diät, die 1 mg/kg Protein aus Milchprodukten enthält unter Vermeidung von Fleisch, Seefisch, Medikamenten und Alkohol. Ist die Uratausscheidung unter diesen Bedingungen größer als 670 mg/Tag, liegt wahrscheinlich eine Überproduktion aufgrund eines Enzymdefekts vor.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine medikamentöse harnsäuresenkende Therapie bei der Mehrheit der Patienten mit asymptomatischer Hyperurikämie nicht gerechtfertigt ist. Von dieser Regel gibt es drei Ausnahmen:

  1. 1.)

    eine anhaltende Hyperurikämie von über 13 mg/dl bei Männern und 10 mg/dl bei Frauen;

  2. 2.)

    eine Harnsäureausscheidung von mehr als 1100 mg/Tag im Urin.

  3. 3.)

    Patienten unter Bestrahlung oder Chemotherapie mit massiver Zellzerstörung und hohem Anfall von Harnsäure.

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Prof. Dr. med. H. S. Füeßl Isar-Amper-Klinikum, München-Ost, Haar

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