_ Die Alterung der Gesellschaft erklärt nur zum Teil die Zunahme an Krankenhausfällen. Zu diesem Ergebnis kommt ein Forschungsprojekt im Auftrag der gesetzlichen Krankenversicherung. Es gebe eine „brutal stetige Mengenentwicklung, die völlig autonom abläuft“, interpretiert Dr. Wulf-Dietrich Leber vom GKV-Spitzenverband das Gutachten.

Das seit Januar 2012 laufende Projekt hat ergeben, dass zwischen 2006 und 2010 die Leistungsmenge um 13% gestiegen ist.

Kassen fordern Reformen

Nicht einmal 40% des Zuwachses von rund 1,3 Millionen Klinikbehandlungen seit dem Jahr 2006 lasse sich mit der demografischen Entwicklung erklären, so Projektleiter Dr. Boris Augurzky.

Dem GKV-Spitzenverband kommen diese Ergebnisse gerade recht. Derzeit verhandelt die Koalition über die Klinikfinanzen. So sollen Kliniken für übermäßige Behandlungen etwas weniger bekommen. Die Kassen fordern sogar noch grundlegendere Reformen, z. B. die derzeit auf zwei Jahre begrenzten Mehrleistungsabschläge für länger einzuführen und den Krankenkassen Direktverträge mit den Krankenhäusern zu ermöglichen.

Auch aus der Politik sind deutliche Stimmen zu hören: „In Deutschland wird zu oft und zu früh operiert, etwa bei Bandscheibenvorfällen oder Knie-OPs“, so der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion Jens Spahn.

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Bandscheiben-OP: zu früh und zu oft?

© Mathias Ernert

Zahl der OPs am Muskel-Skelett-System steigt

Die Zunahme von Operationen am Muskel-Skelett-System ist einer der Parameter, die Studienleiter Augurzky als Argument heranzieht, warum die Demografie alleine nicht für die Mengenausweitung herhalten könne. Um 360 000 Fälle habe ausweislich der DRG-Daten alleine dieses Feld seit 2006 zugelegt.

In diese Kerbe schlägt auch Prof. Fritz Uwe Niethard. „Früher war die konservative Behandlung eine breite Autobahn, heute ist es Schmalspur“, dabei müssten viel mehr Menschen zur Krankengymnastik. Praxisärzte können aber in der Regel nur Rezepte für sechs Sitzungen ausstellen, und in den Kliniken ist Physiotherapie ökonomisch fast unmöglich geworden. Wirbelsäulen-OPs hingegen würden ordentlich bezahlt.

Zertifikatehandel als Lösung?

Einen Ausweg sehen Gutachter in mehr Selektivverträgen. Neuland für das Gesundheitswesen in Deutschland wäre ein Zertifikatehandel für Casemixpunkte (s. Textkasten).

Krankenhäuser könnten dann nur noch im Umfang der ihnen zur Verfügung stehenden Zertifikate operieren lassen. Anderenfalls müssten sie hohe Abschläge in Kauf nehmen. Dies führe zu mehr Wettbewerb und zu einem Handel mit Zertifikaten zwischen den Kliniken.

Der Handel könnte auch einen Ausbau ambulanter Leistungen auslösen, räumt Augurzky ein. Zertifikateknappheit könne den Druck auf die Klinikverwaltungen erhöhen, mehr ambulant behandeln zu lassen.