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© Stratz/Lehrmann/Arentz/Hochholzer

_ Während der weiteren diagnostischen Aufarbeitung wurde dem Patient ein 24-Stunden-Langzeit-EKG (LZ-EKG) angelegt. Der Patient vermerkte auf seinem LZ-EKG-Protokoll lediglich, dass er während der gesamten Aufzeichnungsperiode symptomfrei gewesen sei. Die Auswertung der Aufnahme ergab jedoch eine intermittierende Tachykardie mit schmalen QRS-Komplexen und langem RP-Intervall bei Frequenzen bis 150 Schläge pro Minute mit den höchsten Frequenzen gegen Mitternacht, welche als Sinustachykardie (oberes Bild- und EKG-Streifen) interpretiert wurden. Bei erneuter Anamnese bestätigte der Patient, dass er zu diesem Zeitpunkt beschwerdefrei gewesen sei und sich im Bett befand. Bei genauerem Nachfragen jedoch gab er an, dass er sich zur Zeit der Tachykardien das Halbfinale der Fußball Champions League zwischen Real Madrid und dem FC Bayern München am 25. April 2012 im Fernsehen angeschaut habe.

Eine detaillierte Analyse des LZ-EKG zum Zeitpunkt des Spiels zeigte deutliche Assoziationen des Befundes mit dem Spielverlauf: In der ersten Hälfte des Spiels wurden Frequenzspitzen zum Zeitpunkt der Tore festgestellt: Feld 1 a und b Tore für Madrid in Minute 6 und 14; Feld 1 c Tor für Münchern in Minute 27. Anschließend zeigte sich ein fast sofortiger Frequenzabfall zu Beginn der Halbzeitpause (Feld 1 d). In der zweiten Hälfte des Spiels wurden einige kleinere Frequenzspitzen mit den beiden höchsten Spitzen zum Zeitpunkt (erfolgloser) Torschüsse (Feld 2) aufgezeichnet. Es kam dann zu einem erneuten deutlichen Frequenzanstieg zum Zeitpunkt des Elfmeterschießens in der Spielverlängerung gegen viertel nach Elf (oberes Bild e). Die höchste Frequenz wurde schließlich zum Zeitpunkt des Spielendes registriert. Die weitere EKG-Aufzeichnung zeigte einen Sinusrhythmus mit unauffälligem Frequenzspektrum. Aufgrund der somit minutengenau (!) nachvollziehbaren Trigger der Schmalkomplex-Tachykardien war eine endgültige Einstufung als physiologische Sinustachykardien leicht möglich.

Die Diagnose, die nach Abschluss der weiteren Diagnostik bei dem Patienten gestellte werden konnte, war die einer neurokardialen vegetativen Dysregulation.

Fazit: Auch bei der Auswertung von LZ-EKGs sollte immer eine genaue Anamnese vorliegen. Meist kann diese anhand des dem Patienten mitgegeben Tätigkeitsprotokoll vorgenommen werden. Wie sich an diesem Fall zeigte, lohnt es sich, den Patienten bezüglich des Tätigkeitsprotokolls gut zu instruieren, damit dieser ein solches Protokoll auch möglichst akkurat führt. Der Befunder sollte als Erstes das Tätigkeitsprotokoll studieren und bei Bedarf konkret nachfragen. Auch sollte selbstverständlich die Echtzeit-Uhr des LZ-EKGs immer möglichst genau eingestellt sein. Ohne Protokoll und anamnestisches Nachfrage wäre man in diesem Fall eventuell verführt gewesen, entweder weitere, ggf. auch invasive Diagnostik anzustrengen — oder sogar eine medikamentöse Therapie zu beginnen.