figure 1

Panik vor der neuen „Lustseuche“ (ÄrzteZeitung vom 24. Februar 1983)

© ÄZ vom 24.2.1983

_ HIV kam als weiteres diskriminierendes Merkmal hinzu, die gesellschaftlichen Reflexe zielten auf Ausgrenzung. Die damaligen Vorschläge: Internierung aller auf einer Nordseeinsel, Zwangstestung, Berufsverbot und ähnliches mehr.

Aber auch der medizinische Bereich reagierte auf AIDS-Kranke mit Panik. Die HIV-Infizierten der DDR wurden alle in der Hautklinik der Charité konzentriert, im Westen begannen die AIDS-Stiftung und die AIDS-Hilfen sich um den „überbordenden sozialen Beratungsbedarf“ zu kümmern. Es war die Zeit, als HIV noch auf Randgruppen der drogensüchtigen Schwulen beschränkt zu sein schien, das Übergreifen auf Heterosexuelle geriet erst 1988 ins Blickfeld.

Auch ernstzunehmende Medien übertrumpften sich damals mit vagen, teils abstrusen Vermutungen über die Ursachen der Erkrankung: „Cannabis-Rauchen, Poppers schnüffeln, Cortisoncreme auf der Analschleimhaut, Keime aus dem CIA-Labor oder Keime von einem Kometen aus dem Weltall.“

Nicht fehlen durfte hier die Gottesstrafe für sündigen Lebenswandel, Strafprediger erhitzten sich am Höllenpfuhl.

„Statt auf das Leben musste auf den Tod in jungen Jahren vorbereitet werden.“

50 neue HIV-Patienten kamen jährlich in die Praxis von Jörg Gölz, 30 bis 35 von ihnen starben pro Jahr. Der ärztliche Alltag war kaum auszuhalten. Der positive Test erforderte vor allem soziale Lebensberatung, Anträge zu Schwerbehinderung, Berentung junger Männer, Überwachung häuslicher Krankenpflege und ständige Sterbebegleitung. „Statt auf das Leben musste auf den Tod in jungen Jahren vorbereitet werden.“

Therapeutisch konnte man versuchen opportunistische Infektionen zu verhindern, mit Hilfe von antibiotischen Infusionstherapien. Ab 1987 kam dann die hoch dosierte AZT-Monotherapie, die Viruslast war erst ab 1995 bestimmbar.

Die psychologische und soziale Situation der Infizierten endeten nicht selten im Suizid. „Verlogene Abschiede in den nicht informierten Familien der Erkrankten waren häufig.“

Gölz hatte aber wenigstens ein Erfolgserlebnis: Eine damals 16-jährige HIV-positive Drogenabhängige, die in 25 Jahren bis heute keine antiretrovirale Therapie benötigte und inzwischen drei Kinder geboren und aufgezogen hat.

Suchtmedizin kämpft gegen das Betäubungsmittelrecht

Nach rund 30 Jahren tritt so etwas wie Normalität bei HIV ein, aus der tödlichen Infektion ist dank der antiretroviralen Therapie eine chronische Krankheit geworden. Dieser Fortschritt hat die Therapie von Suchtkrankheiten klar überholt, kritisierte Albrecht Ulmer, Stuttgart, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin.

Nur bei der Nikotinabhängigkeit zeichnet sich nach seinen Worten ein Umdenken ab, nicht dagegen in punkto Alkoholabhängigkeit. „Bisher endet die Mehrzahl der zahllosen stationären Alkoholentzüge noch mit einer Entlassung in die Hilflosigkeit.“

Für Opiatabhängige gibt es mit der Substitution von z.?B. Methadon eine Dauerbehandlung, aber es gibt viel zu wenige Ärzte, die substituieren, nur 3% der Hausärzte führen laut Ulmer Substitutionstherapien durch. Und diese wenigen sind im Schnitt schon 60 Jahre alt. „Eine Praxis nach der anderen schließt ohne Nachfolger.“

Wurzel des Übels ist nach Ulmer das Betäubungsmittelrecht. Substitutionsbehandlungen müssen sich nach diesem Recht richten. Unsinnige Bestimmungen würden die meisten Ärzten abschrecken — ein historischer Fehler.