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Bei HIV-infizierten Homosexuellen besonders häufig: Analkarzinom.

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_ HIV-Patienten haben für nahezu alle Krebsarten ein deutlich erhöhtes Risiko. Während Lymphdrüsenkrebs und Kaposi-Sarkom zu den klassischen AIDS-assoziierten Malignomen zählen, werden alle anderen unter dem Terminus „Nicht-AIDS-definierende Malignome“ (NADM) zusammengefasst. Diese NADM, so berichtete Marcus Hentrich, München, zählen bereits zu den häufigsten Todesursachen von Patienten mit HIV-Infektionen, während die AIDS-assoziierte Mortalität in den letzten 20 Jahren kontinuierlich zurückgegangen ist.

Daten aus Frankreich bestätigen diesen Trend: Der Anteil NADM-bedingter Todesfälle stieg von 2000 bis 2005 von 11 auf 16%.

Analkarzinom: 70-mal häufiger

Eine Sonderentwicklung zeichnet sich beim Analkarzinom ab: Die Wahrscheinlichkeit, diese Krebsform zu entwickeln, ist für HIV-infizierte Homosexuelle siebzig Mal höher als in der Allgemeinbevölkerung — im Fachjargon wird diese Gruppe mit dem Kürzel MSM beschrieben: Männer, die Sex mit Männern haben. Darüber soll aber nicht vergessen werden, dass auch Frauen betroffen sind, wenn sie häufigeren Analsex haben.

Papillom-Viren weit verbreitet

Stefan Esser vom Universitätsklinikum Essen erinnerte daran, dass Infektionen mit den Humanen Papillom-Viren (HPV) zu Karzinomen im Genitoanalbereich führen können und dass fast alle HIV-Infizierten auch HPV akquiriert haben.

Bekannt ist auch, dass HIV/HPV-Koinfizierte vermehrt symptomatische Verläufe entwickeln. Esser: „HPV-assoziierte Läsionen und Feigwarzen zeigen bei HIV-Infizierten selbst unter angemessener Therapie einen hartnäckigen Verlauf und Rezidive. Und: Der Übergang von eher harmlosen HPV-assoziierten Veränderungen in eine Krebserkrankung findet bei HIV/HPV-Koinfizierten oft schneller statt.“ Ein Grund dafür, dass Zervikal- und Analkarzinome bei ihnen häufiger vorkommen als in der Allgemeinbevölkerung.

Die antiretrovirale Therapie beeinflusst die Häufigkeit dieser Malignome kaum, sie hat nur zu einem Rückgang der so genannten AIDS-definierenden Neoplasien wie des Kaposi-Sarkoms geführt.

Engpass in der proktologischen Versorgung

In der praktischen Versorgung zeigen sich mehrere Probleme:

  • Zunächst gibt es bis heute noch keine verbindlichen medizinischen Leitlinien für Vorsorgeuntersuchungen von HIV-Infizierten zur Vermeidung des Analkarzinoms in Deutschland. Auch die Kostenübernahme der zum Teil aufwendigen Untersuchungen ist Esser zufolge nicht geklärt. Die deutsche AIDS-Gesellschaft erarbeitet derzeit mit anderen Fachgesellschaften einer ersten Leitlinienentwurf.

  • Die bloße Inspektion des Topos erkennt nur äußerliche Veränderungen, und die digitale rektale Untersuchung „kann meistens nur fortgeschrittene Tumoren ertasten“. Somit sind diese Untersuchungen nicht zur Früherkennung geeignet.

  • Mit zytologischen Analabstrichen werden 50% der intraepithelialen Hochrisiko-Läsionen erkannt, diese Treffsicherheit wird von den Experten als nicht zufriedenstellend bezeichnet. Die europäischen Leitlinien (EACS) empfehlen derzeit Vorsorgeuntersuchungen mindestens alle drei Jahre, die eine digitale rektale Untersuchung sowie Analabstriche bei „HIV-infizierten MSM“ umfassen.

  • Die sicherste Methode zur Früherkennung von analen HPV-assoziierten Läsionen ist laut Esser der Einsatz der hochauflösenden Anoscopy (HRA) mit gezielt entnommenen Gewebeproben, Spezialuntersuchungen wie sie nur in proktologischen Zentren zur Verfügung stehen.

  • Die Impfung gegen bestimmte HPV-Typen wird bereits im frühen Jugendalter empfohlen, wird von den Kostenträgern aber nur für Mädchen übernommen.

Esser mahnt regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen für HIV-infizierte Männer an. Schon jetzt seien Analkarzinome und deren Vorstufen die häufigsten Neoplasien bei MSM. Wegen zu geringer Kapazitäten müssten zum Teil erhebliche Wartezeiten für geeignete proktologische Untersuchungen hingenommen werden.