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Prof. Dr. med. Hermann S. Füeßl Geschäftsführender Schriftleiter MMW-Fortschritte der Medizin Leiter Somatischer Querschnittsbereich Isar-Amper-Klinikum Klinikum München-Ost, Haar

_ Nicht ohne Grund veröffentlicht die MMW-Fortschritte der Medizin seit zwölf Jahren ein Sonderheft über neurologische und psychiatrische Krankheiten. Auf der Makroebene der Gesundheitspolitik ist es in aller Munde, aber auch in jeder Hausarztpraxis hautnah spürbar: Krankheiten aus dem Bereich von Neurologie und Psychiatrie spielen eine immer größere Rolle.

Nach aktuellen Angaben der BARMER-GEK liegt der Anteil psychischer Erkrankungen und Verhaltensstörungen am Krankenstand von Arbeitnehmern bei 16,5% und wird nur noch von den muskuloskelettären Erkrankungen übertroffen. Die Zahl der Fehltage von Berufstätigen wegen psychischer Erkrankungen stieg zwischen 2005 und 2011 um etwa 70%. Diese Zunahme betrifft alle drei Lebensabschnitte. Der Anteil verhaltensauffälliger Kinder und Jugendlicher wächst stetig, die Klagen berufstätiger Personen über Stress und Arbeitsüberlastung in Verbindung mit somatoformen Beschwerden ist epidemisch und die Prognosen über eine Verdoppelung der Patienten mit Altersdemenz in den nächsten 30 Jahren lassen eine Zerreißprobe für die Finanzierung unseres Gesundheitssystems befürchten.

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Gerade psychiatrische Leiden werden noch zu spät erkannt.

© Klaus Rose

Mit dem unvermindert anhaltenden Anstieg der Lebenserwartung, wachsendem Leistungsdruck in der Arbeitswelt, Reizüberflutung und der Auflösung traditioneller gesellschaftlicher Strukturen haben neurodegenerative Erkrankungen, somatoforme Störungen, Depression, Verhaltensauffälligkeiten und Suchtprobleme so zugenommen, dass deren Behandlung keineswegs nur beim Spezialisten erfolgen kann.

Zudem ist es gerade der Hausarzt, der leichte bis mittelschwere Erkrankungen, vor allem Depressionen, dementielle Entwicklungen, Bewegungsstörungen und Suchterkrankungen als Erster zu Gesicht bekommt. Allerdings sind die diesbezüglichen Klagen und Symptome oft subtil bis viel sagend, das Symptomenspektrum enorm vielfältig und die Widerstände gegen diese Diagnosen bei Arzt und Patient nach wie vor hoch.

Auf den Schultern des Allgemeinarztes ruht eine besondere Verantwortung für die Früherkennung psychiatrischer Krankheiten, da die Hemmschwelle der Patienten für den Gang zum Arzt bei ihm deutlich niedriger liegt als beim Psychiater. Leider werden diese Erkrankungen aber immer noch mit deutlicher Zeitverzögerung diagnostiziert und mit noch größerer adäquat behandelt. Bei der Depression beträgt die Verzögerung etwa vier Jahre, bei erstmanifestierten Schizophrenien sogar bis zu sieben Jahre und selbst delirante Zustände bei alten Patienten werden nur in einem Drittel der Fälle vom Erstbehandelnden als solche erkannt. Daher wollen wir Sie mit diesem Schwerpunktheft auf den neusten Stand der Diagnostik und Therapie einer Reihe von neurologisch-psychiatrischen Erkrankungen bringen. Auswahlkriterien waren dabei die Häufigkeit und die Einführung neuer Therapieprinzipien. Begreifen Sie die Verantwortung als Chance!