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Ein Mensch erkennt vertraute Gesichter nicht oder nur mühsam wieder: Dieses als Prosopagnosie bezeichnete Phänomen wurde erstmals 1948 bei Patienten mit Schlaganfall beschrieben. Dass viele Menschen von Geburt an mit Prosopagnosie zurechtkommen müssen, hat man erst in den letzten 20 Jahren erkannt. Das Team von Prof. Adrian Danek von der Neurologischen Klinik der Universität München gehört zu den wenigen Forschern, die sich mit der kongenitalen Prosopagnosie beschäftigen.
MMW: Wie äußert sich eine Prosopagnosie für die Betroffenen?
Danek: Die Betroffenen sehen jedes Detail eines Gesichtes. Aber ihr Gehirn verarbeitet die Eindrücke nicht zu einem bedeutungshaltigen Ganzen. Normalerweise erkennen wir ein Gesicht im Bruchteil einer Sekunde – bei Menschen mit Prosopagnosie funktioniert das nicht. Sie müssen Gesichter immer aufs Neue zusammensetzen und sind daher nur unter Schwierigkeiten in der Lage, andere Personen am Gesicht wiederzuerkennen.
MMW: Wie findet man sich ohne diese Fähigkeit im Alltag zurecht?
Danek: Da die Probleme von Geburt an bestehen, haben die Betroffenen meist Strategien entwickelt, mit denen sie andere Menschen trotzdem erkennen können. Sie orientieren sich zum Beispiel an der Stimme, der Frisur oder dem Gang. Oder sie stellen Fragen, um ihr Gegenüber einordnen zu können. Solche Verhaltensweisen fallen meistens nicht auf, wenn man nicht für Prosopagnosie sensibilisiert ist.
MMW: Gibt es Anzeichen, die dem Hausarzt auffallen könnten?
Danek: Eher nein. Denn beim Praxisbesuch wissen die Betroffenen ja, wen sie vor sich haben. Nur bei zufälligen Begegnungen oder in Menschenmengen sind sie überfordert.
MMW: Wie kann man sicher feststellen, ob jemand an angeborener Prosopagnosie leidet?
Danek: Wichtige Hinweise geben Anamnese und spezielle Fragebögen. Typisch ist zum Beispiel, dass die Personen von Bekannten im Supermarkt angesprochen werden, ohne sie zu erkennen. Oft haben sie auch eine positive Familienanamnese.
Wir untersuchen derzeit, ob sich neuropsychologische Tests, die für Patienten mit erworbener Prosopagnosie entwickelt wurden, auch zur Diagnostik der angeborenen Form eignen. Dabei hat sich gezeigt, dass es den einen Prosopagnosietest leider nicht gibt. Wir haben Probanden verschiedene Tests zur Gesichtererkennung machen lassen, ohne ein durchgängiges Muster zu finden. Auch ein Nachweis durch Bildgebung ist bisher nicht möglich. Es gibt aber erste Hinweise, dass bei angeborener Prosopagnosie im visuellen Assoziationskortex bestimmte Faserverbindungen anders ausgeprägt sind.
MMW: Bei der angeborenen Prosopagnosie bestehen keine Gehirnschäden?
Danek: Nein, Gehirnschäden sind nicht bekannt. Die kongenitale Prosopagnosie hat keinen Krankheitswert im engen Wortsinn, ist aber für die Betroffenen durchaus belastend und im Alltag einschränkend. Ich sehe sie als Variante der menschlichen Hirnleistungsfähigkeit, vergleichbar der Lese-Rechtschreib-Schwäche oder einer Begabung wie Musikalität oder Schnell-laufen-Können. Daher sollte man auch keine Hysterie schüren, etwa bei den Eltern von betroffenen Kindern. Die Menschen sind verschieden – mehr würde ich dem nicht beimessen wollen.
MMW: Die angeborene Prosopagnosie soll etwa 2,5% der Bevölkerung betreffen. Halten sie diesen hohen Anteil für realistisch?
Danek: Das ist meiner Meinung nach eine realistische Schätzung. Ich habe in Vorlesungen zu diesem Thema die Erfahrung gemacht, dass von 25 bis 50 Studenten danach mindestens einer zu mir kommt und sagt, dass er das Problem kennt.
Interview: Dr. Beate Schumacher
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Wie Prosopagnostiker andere Menschen sehen. MMW - Fortschritte der Medizin 154, 17 (2012). https://doi.org/10.1007/s15006-012-0283-0
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