_ Die Abklärung einer unklaren Anämie gehört zu den alltäglichen Herausforderungen des Hausarztes. Ist eine Eisenmangel-, eine perniziöse und eine renale Anämie ausgeschlossen, muss v. a. bei normochromer Anämie an ein myelodysplastisches Syndrom gedacht werden.

Erkrankungsrisiko steigt mit dem Alter

„Myelodysplastische Syndrome sind eine heterogene Gruppe von klonalen hämatopoetischen Erkrankungen, die durch genetische Transformationen einer frühen hämatopoetischen Stamm- oder Progenitorzelle entstehen“, erklärte Priv.-Doz. Dr. Katharina Götze, München. Entscheidend für die Prognose ist das deutlich erhöhte Risiko für eine sekundäre akute Leukämie. Myelodysplastische Syndrome treten vorwiegend bei Älteren ab der 7. Lebensdekade auf. Männer sind etwas häufiger betroffen als Frauen.

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Erythrozytentransfusionen: So selten wie möglich, aber so oft wie nötig!

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Knochenmarkszytologie ist unverzichtbar

Bei Verdacht auf ein myelodysplastisches Syndrom sollte ein Differenzialblutbild mit Retikulozyten und eine Knochenmarkszytologie mit Eisenfärbung und Zytokinetik durchgeführt werden. Weitere unverzichtbare Laborparameter sind LDH, Ferritin und Erythropoetin.

Mit modernen molekularen Verfahren können verschiedene Formen des myelodysplastischen Syndroms differenziert werden, die sich hinsichtlich Verlauf und Prognose unterscheiden. „Für die Therapieplanung ist eine individuelle Prognoseabschätzung mittels eines Scoringsystems unverzichtbar“, so Götze.

Individuelle Therapieentscheidung

Die Therapieentscheidung sollte individuell in Abhängigkeit von Alter, Allgemeinzustand und Prognose-Score erfolgen. „Aus pragmatischen Erwägungen ist es sinnvoll, Low-risk- von High-risk-Patienten zu unterscheiden“, so Götze. Die Therapieoptionen werden entsprechend dieser zwei Risikogruppen stratifiziert.

Die Basisbehandlung aller Patienten mit einem myelodysplastischen Syndrom ist eine adäquate supportive Therapie. Dazu gehört die Substitution von Erythrozyten und Thrombozyten nach Bedarf. Eine Thrombozytensubstitution ist bei Thronbozytenwerten < 10 000/βl sinnvoll, bei Fieber, Blutungszeichen, Koagulopathien oder anderen Risikofaktoren aber auch früher. Die Substitution von Erythrozytenkonzentraten ist im Allgemeinen bei einem Hb < 8 g/dl nötig.

Frühzeitig Antibiotika

Eine der gefürchtetsten Komplikationen bei myelodysplastischem Syndrom sind Infektionen. Deshalb ist eine frühzeitige empirische Antibiotikatherapie bei Auftreten von Infektionen zwingend nötig. Ob auch eine antibiotische Primärprophylaxe bei Patienten mit Granulozytopenie sinnvoll ist, wird kontrovers diskutiert.

Eine weitere Komplikation ist die sekundäre Eisenüberladung als Folge häufiger Erythrozytentransfusionen. Um dem entgegenzuwirken, empfiehlt sich die Gabe von Eisenchelatoren immer dann, wenn die zu erwartende Lebenszeit mindestens zwei Jahre und der Ferritinwert im Serum >1000 ng/ml beträgt bzw. wenn mehr als 25 Erythrozytenkonzentrate transfundiert wurden.

Neue, vielversprechende Strategien

Während Patienten mit Niedrigrisiko eine relativ lange mittlere Überlebenszeit von fünf Jahren haben, liegt die mediane Überlebenszeit bei Hochrisiko-Patienten bei nur einem Jahr, da ein hohes Risiko für eine sekundäre akute Leukämie besteht. Solche Patienten sollten zusätzlich zur supportiven Therapie eine spezifische Therapie erhalten. Für jüngere Patienten bedeutet dies eine allogene Stammzelltransplantation als kurative Therapieoption. Bei über 70-Jährigen empfiehlt sich eine Behandlung mit Pyrimidinanaloga wie Decitabine oder 5-Azacitadine, die in die DNA eingebaut werden und somit direkte zytotoxische Wirkung auf proliferierende Zellen entfalten. „Diese Substanzen führen zu einer Verlängerung des Gesamtüberlebens von durchschnittlich sechs bis neun Monaten“, so Götze.