Längst ist bekannt, dass eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) nicht nur bei Jungen, sondern auch bei Mädchen sowie Erwachsenen beiderlei Geschlechts auftritt. Dennoch bleiben junge Menschen im Transitionsalter und Frauen unterdiagnostiziert und erhalten oft erst verspätet eine adäquate psychiatrische Versorgung.

Die Prävalenz der ADHS bei Frauen in psychiatrischer Behandlung liegt bei 14,4 % [Deberdt W et al. BMC Psychiatry. 2015;15:242]. „Eine von sieben Frauen, die psychiatrisch versorgt wird, hat eine ADHS“, sagte Dr. Astrid Neuy-Lebokowicz, niedergelassene Fachärztin für Psychosomatik und Psychotherapie aus München. Für sie wird die Störung bei Erwachsenen noch zu selten diagnostiziert - insbesondere bei Frauen.

Frauen mit ADHS zeigen nämlich häufig ein internalisierendes Verhalten [Gershon J. J Atten Disord. 2002;5(3):143-54]: Sie sind eher unaufmerksam und verträumt statt hyperaktiv [Weiler MD et al. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry. 1999;38(9):1139-47]. Wie Neuy-Lebokowicz aus klinischer Erfahrung weiß, versuchen Frauen, ihre ADHS-Symptomatik durch verschiedene Verhaltensweisen zu kompensieren und äußern oft Beschwerden wie Erschöpfung. Viele leiden zudem an Komorbiditäten wie Angststörung, Depression oder Essstörung, die die ADHS überdecken [Young S et al. BMC Psychiatry. 2020;20(1):404]. All dies führt zu einer späten Diagnose und Behandlung [Kok FM et al. PLoS One. 2020;15(9):e0239257].

Eine weitere Gruppe, die trotz ADHS-Diagnose oft unterbehandelt bleibt, sind junge Menschen im Transitionsalter. Laut einer Studie aus dem Jahr 2017 werden lediglich 6,6 % der 21-Jährigen mit ADHS medikamentös behandelt [Bachmann CJ et al. Dtsch Arzteblt Int. 2017;114(9): 141-8]. „Damit die Versorgung auch im Erwachsenenalter gewährleistet ist, sollte die ärztliche Übergabe strukturiert erfolgen“, riet Dr. Bodo Müller, ärztlicher Direktor für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am St. Marien-Hospital, Düren. Dazu gehöre, den Abnabelungsprozess aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) frühzeitig zu initiieren und bei Schweigepflichtsentbindung die Akten der Betroffenen so rasch wie möglich an den weiterbehandelnden Kollegen oder die weiterbehandelnde Kollegin zu übergeben. „Das Wichtigste ist eine gute Vernetzung zwischen KJP und Erwachsenenpsychiatrie“, betonte Müller.

Werden Kinder mit ADHS erwachsen, rücken statt der elterlichen die eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund. Ihnen die Eigenantwortung zu spiegeln, erhöht laut dem Experten die Compliance. Weiterhin leiden Erwachsene häufiger an Komorbiditäten, die mitbehandelt werden müssen. „Ohne eine ADHS-Therapie ist das Outcome aber nicht gut“, unterstrich Müller. Für eine adäquate ADHS-Behandlung empfiehlt er neben Psychotherapie den Einsatz von Stimulanzien wie Lisdexamfetamin (Elvanse Adult®). ,

Lunch-Symposium „Dunkelziffer ADHS - Verlust in der Transition“ beim DGPPN-Kongress, 30.11.2023, Berlin; Veranstalter: Takeda