Fragestellung: Kann die Gabe von Tamoxifen zusätzlich zur Steroidtherapie bei Jungen mit Duchenne-Muskeldystrophie (DMD) die Gehfähigkeit verbessern?

Hintergrund: Die DMD ist die häufigste hereditäre Myopathie mit Manifestation im Kindesalter. Mutationen im Dystrophin-Gen führen zu einem progredienten Verlust von Muskelmasse, die durch Fett- und Bindegewebe ersetzt wird. Durch den X-chromosomalen Erbgang ist einer von 3.500-6.000 lebendgeborenen Jungen betroffen. Der progrediente Funktionsverlust der Muskulatur führt im natürlichen Erkrankungsverlauf zum frühen Verlust der Gehfähigkeit, Einschränkung der Atem- und kardialen Funktion und einem dadurch bedingten verfrühten Versterben der Betroffenen.

Der bisherige Therapiestandard sieht die langfristige Behandlung mit Kortikosteroiden vor, die die Progressionsrate zwar vermindern, deren Effektivität aber begrenzt ist und die auch nebenwirkungsreich sind. Dadurch ergibt sich die Notwendigkeit alternativer Therapiestrategien. In einem Mausmodell zur DMD zeigte sich Tamoxifen als sehr effektiv, den Muskelabbau zu vermindern. Auf Basis dieser Beobachtung wurde die TAMDMD-Studie designt, um im Sinne eines Drug-Repurposing die Effektivität von Tamoxifen zusätzlich zur Steroidtherapie zu untersuchen.

Patienten und Methodik: Diese randomisierte kontrollierte Phase-III-Studie schloss Jungen zwischen dem 6. und 12. Lebensjahr mit einer genetisch gesicherten DMD aus zwölf neuromuskulären Zentren in sieben Ländern ein. In der Studie wurden gehfähige sowie nicht gehfähige Patienten unabhängig voneinander untersucht. Hier wird der Studienteil der gehfähigen DMD-Patienten berichtet.

Die Teilnehmenden wurden im Verhältnis 1:1 randomisiert und erhielten 20 mg Tamoxifen oder Placebo einmal täglich zusätzlich zu einer stabilen individuellen Steroiddosis. Der primäre Endpunkt war die Änderung in der D1-Domäne des motorischen Funktionsscores MFM32 nach 48 Wochen. Diese Domäne beschreibt auf die Gehfähigkeit bezogene Items. Weitere Outcome-Parameter waren motorische Funktionstests, unter anderem das North Star Ambulatory Assessment (NSAA), Gehtests sowie eine Quantifizierung der Muskeldegeneration mittels MRT sowie Patient-reported Outcomes zur Lebensqualität und verschiedenen Krankheitsaspekten.

Ergebnisse: Von 95 gescreenten Jungen wurden 82 in die Studie eingeschlossen; 40 Teilnehmende erhielten Tamoxifen, 38 Placebo. Nach 48 Wochen zeigte sich kein signifikanter Unterschied im primären Endpunkt sowie den weiteren Untersuchungsparametern. Auch die MRT zeigte keine signifikanten Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen. Über den Untersuchungszeitraum war allerdings in der Tamoxifen-Gruppe eine langsamere Krankheitsprogression zu verzeichnen. Die Substanz wurde gut vertragen, es konnten keine neuen sicherheitsrelevanten Aspekte identifiziert werden.

Schlussfolgerung: Bei gehfähigen Jungen mit DMD führt Tamoxifen als Add-on zur Steroidtherapie zu keiner Verbesserung der motorischen Funktion.

Henzi BC, Schmidt S, Nagy S et al. Safety and efficacy of tamoxifen in boys with Duchenne muscular dystrophy (TAMDMD): a multicentre, randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3 trial.Lancet Neurol. 2023; 22: 890-9