Eine frühe hochwirksame MS-Therapie verzögert nicht nur langfristig die Akkumulation neuer Behinderungen, sie bremst offenbar die gefürchtete entzündungsunabhängige Progression.

Inzwischen gibt es in einem Punkt kaum noch Zweifel: Wer schon früh eine hochwirksame krankheitsmodifizierende Therapie (DMT) bei MS bekommt, wird erst wesentlich später von schweren Behinderungen heimgesucht als MS-Kranke mit einem späteren Beginn. Die Frage ist heute eher, wer überhaupt eine intensive Behandlung benötigt und bei wem moderne Basistherapeutika genügen. Menschen mit einer sehr aktiven MS sollten jedenfalls sehr früh die hochwirksamen Medikamente erhalten, dafür sprechen sowohl kontrollierte Interventionsstudien als auch Registeranalysen. Weniger klar ist jedoch, ob hochwirksame DMT auch die schubunabhängige Progression (progression independent of relapse activity, PIRA) verzögern.

Eine Registeranalyse aus Italien spricht jedenfalls dafür.

Wie Pietro Iaffaldano von der Aldo-Moro-Universität in Bari, Italien, berichtete, wurden für die Analyse knapp 5.000 Personen mit schubförmiger MS ausgewählt, die entweder von Beginn an eine hochwirksame DMT erhielten oder erst nach einer Basistherapie auf eine solche wechselten. Die Forschenden schauten sowohl nach einer mindestens sechs Monate persistierenden Behinderungsprogression als auch nach der vermuteten Ursache: Trat die Behinderung in den 30 Tagen vor oder 60 Tagen nach einem Schub auf, wurde sie als schubabhängig betrachtet, ansonsten als PIRA. Um einen möglichst fairen Vergleich zu ermöglichen, wurden den 908 MS-Kranken mit früher hochwirksamer DMT ebenso viele mit einer Eskalation und möglichst vergleichbaren Merkmalen gegenübergestellt: In beiden Gruppen hatten die Betroffenen mit 32 Jahren ihre erste DMT erhalten, in der einen Gruppe eine hochwirksame Therapie mit Antikörpern, Mitoxantron oder Cladribin, in der anderen erst eine Basistherapie, nach im Median 4,3 Jahren erfolgte die Eskalation.

Nach dem Start der ersten DMT sank der EDSS-Wert in beiden Gruppen geringfügig und stieg dann im Laufe einer mittleren Nachbeobachtungsdauer von über acht Jahren konstant an, unter einer hochwirksamen First-Line-DMT allerdings deutlich langsamer als in der Eskalationsgruppe. Signifikante Unterschiede zeigten sich bereits nach einem Jahr mit einer EDSS-Differenz von 0,16 Punkten zugunsten der hochwirksamen First-Line-DMT; nach zehn Jahren hatte sich die Differenz auf 0,63 EDSS-Punkte vergrößert - in der Eskalationsgruppe schritt die Behinderungsprogression auch nach der Eskalation schneller voran. Eine Cox-Regressionsanalyse ergab für die Eskalationsgruppe ein um 36 % erhöhtes Risiko für eine erste Behinderungsprogression, das Risiko für eine schubabhängige Progression war um 55 % und das für ein erstes PIRA-Ereignis um 22 % gesteigert. Für Iaffaldano ist die Studie ein weiteres Argument dafür, dass zumindest MS-Kranke mit ungünstigen prognostischen Faktoren von Beginn an eine hochwirksame DMT erhalten sollten.

MSMilan2023: Gemeinsamer Kongress des Americas Committee for Treatment and Research in Multiple Sclerosis (ACTRIMS) und des European Committee for Treatment and Research in Multiple Sclerosis (ECTRIMS). Mailand, 11.-13.10.2023. Scientific Session 5: „Efficacy of different treatment algorithms for MS“