Was passiert, wenn MS-Kranke bei der Therapie einen Gang zurückschalten? Nach einem Wechsel auf eine weniger wirksame Therapie bleibt rund die Hälfte frei von neuer Krankheitsaktivität. Vor allem ältere Personen und Männer scheinen eine Deeskalation zu vertragen.

Nicht wenige MS-Kranke brechen eine hochwirksame krankheitsmodifizierende Therapie (DMT) nach einiger Zeit wieder ab und wechseln auf eine weniger wirksame, aber besser verträgliche Alternative. Jeder zweite MS-Kranke scheint damit zurechtzukommen, drei Viertel entwickeln mit der weniger wirksamen Therapie auch keine EDSS-Progression - zumindest nicht im Laufe von rund zwei Jahren nach dem Wechsel. Darauf hat Dr. Frederik Elberling vom Dänischen Multiple-Sklerose-Zentrum hingewiesen.

Auf der Tagung der beiden MS-Gesellschaften ACTRIMS und ECTRIMS in Mailand präsentierte Elberling eine Analyse zu 333 Personen, die von einer hochwirksamen auf eine moderat effektive DMT gewechselt hatten. Zu den hochwirksamen DMT zählte der Neurologe monoklonale Antikörper sowie S1P-Analoga, zu den moderat wirksamen die üblichen Basistherapeutika (Interferone, Dimethylfumarat, Glatirameracetat, Teriflunomid). Für die Analyse berücksichtigt wurden nur Personen, die mehr als ein Jahr lang hochwirksame Mittel bekommen hatten und die Therapie nicht aufgrund einer Schwangerschaft deeskalierten.

Im Schnitt waren die Betroffenen zu Beginn der hochwirksamen Therapie 43 Jahre alt, die Behandlung dauerte im Mittel 2,3 Jahre, der Frauenanteil betrug 76 %. Die allermeisten hatten Fingolimod oder Natalizumab bekommen. Hauptgründe für den Wechsel waren Nebenwirkungen sowie ein JC-Virus-Nachweis, ein kleiner Teil wechselte aufgrund von Antikörpern gegen das Medikament. Rund die Hälfte nahm nach dem Wechsel Dimethylfumarat. Zum Zeitpunkt der Deeskalation hatten die MS-Kranken einen mittleren EDSS-Wert von 3,3, ein Drittel zeigte im Jahr vor dem Wechsel auch unter der hochwirksamen Therapie eine MS-Aktivität.

45 % mussten reeskalieren

Im Laufe von knapp zwei Jahren entschieden sich 45 % erneut für eine hochwirksame Therapie - zumeist aufgrund neu auftretender MS-Aktivität - eine solche wurde bei 49 % beobachtet. 26 % zogen einen lateralen Switch auf eine andere moderat wirksame DMT vor, nur 18 % blieben beim ursprünglich gewählten Basistherapeutikum, 11 % brachen die DMT ganz ab. Ein lateraler Switch oder eine Reeskalation war vor allem bei jüngeren MS-Kranken nötig (mittleres Alter 45 Jahre), dagegen blieben Ältere eher beim zuerst gewählten Basistherapeutikum (54 Jahre) oder brachen die Therapie ganz ab (50 Jahre). Auch hier zeigt sich also: Die Deeskalation gelingt vor allem bei älteren Menschen mit zurückgehender entzündlicher Erkrankungskomponente.

Immerhin erlitt nur ein Viertel nach der Deeskalation eine EDSS-Progression, 57 % blieben schubfrei und 51 % entwickelten weder Schübe noch MRT-Läsionen noch eine Behinderungsprogression. Neben dem Alter war auch das Geschlecht entscheidend: Die Deeskalation schien bei Männern besser zu klappen, bei ihnen war das Risiko für eine erneute MS-Aktivität um ein Drittel geringer als bei Frauen.

Gerade für ältere Menschen und Männer mit MS, welche ihre hochwirksamen DMT nicht gut vertragen, könne eine Deeskalation ein geeigneter Weg sein, so das Fazit von Elberling. Allerdings wurden die MS-Kranken im Mittel lediglich zwei Jahre nachuntersucht. Wie viele nach der Deeskalation unter der Basistherapie längerfristig gut fahren, werden erst Analysen über längere Zeiträume zeigen.

MSMilan2023: Gemeinsamer Kongress des Americas Committee for Treatment and Research in Multiple Sclerosis (ACTRIMS) und des European Committee for Treatment and Research in Multiple Sclerosis (ECTRIMS). Mailand, 11.-13.10.2023. Scientific Session 10: „Safety of different treatment algorithms for MS“