Fragestellung: Gibt es typische Verlaufsmuster von depressiven Erkrankungen im Alter?

Hintergrund: Depressionen im Alter sind häufig und mehr als die Hälfte der Betroffenen remittiert unter der ersten therapeutischen Intervention nicht. Die Identifikation von Subtypen depressiver Störungen im Alter könnte helfen, diejenigen zu identifizieren, die am meisten von einer spezifischen Intervention profitieren würden.

Patienten und Methodik: Den Autorinnen und Autoren standen die vollständigen Daten aus vier ambulanten Studien mit 535 über 60-Jährigen (mittleres Alter 73 Jahre) mit einer Depression zur Verfügung. In den Studien wurden psychosoziale Interventionen (8 bis 14 Sitzungen) gegen eine aktive Kontrollbedingung oder treatment-as-usual untersucht. Durch einen Computeralgorithmus wurden aus den Eingangsdaten der Hamilton Depression Rating Scale (HAM-D), der erfassten sozialen Unterstützung, der kognitiven Leistungsfähigkeit und dem Grad der Behinderung automatisiert Gruppen gebildet und bezüglich des Behandlungserfolges miteinander verglichen.

Ergebnisse: Der Algorithmus identifizierte drei Teilnehmergruppen mit folgenden Hauptmerkmalen: 1) 139 Teilnehmende mit schwerer Depression (HAM-D im Schnitt 27) und großem sozialen Netzwerk, 2) 206 ältere (mittleres Alter 75 Jahre), gut ausgebildete Menschen mit als gut empfundenen sozialen Kontakten und 3) 190 Menschen mit vorherrschenden Behinderungen. Subtyp 2 hatte die schnellste und höchste Remissionsrate, egal welche psychosoziale Intervention eingesetzt wurde, auch die Verbesserungen in den Kontrollgruppen waren ausgeprägt. Subtyp 1 zeigte zwar einen größeren Wirkungsabstand zwischen Interventions- und Kontrollgruppen, insgesamt war aber der Abfall der depressiven Symptomatik geringer und langsamer. Subtyp 3 zeigte auch nur eine geringere Verbesserung im Verlauf.

Schlussfolgerungen: Die Autoren folgern, dass Subtyp 2 die beste Prognose von allen Subtypen unabhängig von der Form der Intervention hat. Sie sehen durch die Ergebnisse nochmals die Beobachtung bestärkt, dass nicht die numerische Größe des sozialen Netzes (bei Subtyp 1 am größten) sondern die subjektive Wahrnehmung der sozialen Einbindungen (bei Subtyp 2 am stärksten) prognostisch wichtig ist. In der erweiterten Analyse zeigte sich aber auch, dass Subtyp 2 ebenso ausgeprägt mit Suizidgedanken und wahnhaften Symptomen behaftet war, also keineswegs nur eine leichte Depression aufwies. Subtyp 1 mit der schlechtesten Prognose wies die stärksten Symptome im Bereich Angst, depressiver Stimmung, Schlafstörung und somatische Symptome auf. Dieses Symptomcluster sollte bei der Prognoseabschätzung differenziert von der globalen Depressionsschwere betrachtet werden.

Solomonov N, Lee J, Banerjee S et al. Course of subtypes of late-life depression identified by bipartite network analysis during psychosocial interventions. JAMA Psychiatry. 2023; 80: 621-9