Irritabilität, also die Tendenz, auf Frustration oder Bedrohung mit Ärger zu reagieren, scheint bei Menschen mit Major Depression einen ungünstigen Verlauf und eine erhöhte Neigung zu Suizidgedanken mitzuführen.

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Eine einheitliche Definition von Irritabilität gibt es nicht. Prof. Dr. Manish Kumar Jha, Psychiatrie, University of Texas, Southwestern Medical Center, Dallas, USA, bevorzugt die Definition "niedrige Schwelle, auf Frustration oder Bedrohung mit Ärger zu reagieren." Das DSM-5 erwähnt Irritabilität als Zusatzkriterium nur bei depressiven Störungen im Kindes- und Jugendalter, nicht aber bei Erwachsenen. Das sieht Jha als Manko, denn Irritabilität gehöre neben Angst- und Paniksymptomen sowie Schlafstörungen zu jenen Begleitsymptomen der Major Depression Erwachsener, die eine ungünstige Prognose anzeigen, wenn sie sich zu Beginn der antidepressiven Therapie verschlechtern.

Modifizierbarer Risikofaktor für Suizidalität?

Irritabilität scheint bei Depression mit häufigeren Suizidgedanken einherzugehen. Das bestätigten Jha und Mitforschende kürzlich in einer Registerstudie mit mehr als 10.000 an einer Major Depression Erkrankten. Die von Irritabilität Betroffenen bejahten häufiger die neunte Frage im Patient-Health-Questionnaire(PHQ)-9, "Gedanken, dass Sie lieber tot wären oder sich Leid zufügen möchten". Nach bisherigem Kenntnisstand, so Jha, sei Irritabilität bei Major Depression sogar stärker mit Suizidgedanken assoziiert als alle anderen Depressionskriterien. "Möglicherweise haben wir es hier mit einem modifizierbaren Risikofaktor für Suizidalität tun", erklärte Jha.

Überschneidungen mit Angst und Anhedonie

Prof. Dr. Maurice Moyses Ohayon, Psychiatrie, Standford-Universität, USA, berichtete über eine große Längsschnittstudie an einer repräsentativen US-amerikanischen Bevölkerungsstichprobe. Mehr als 10.000 Personen wurden zweimal mit Unterstützung eines selbst lernenden Algorithmus befragt, unter anderem zu ihrer psychischen Gesundheit. Zwischen den beiden Erhebungen lagen durchschnittlich etwa drei Jahre.

Die Studie zeigte eine Korrelation zwischen Irritabilität und einer steigenden Inzidenz von Major Depression. Sowohl Irritabilität als auch Ängstlichkeit erwiesen sich als unabhängige Risikofaktoren für die Persistenz einer Major Depression. Das Persistenz-Risiko war bei den Erkrankten, die sowohl klinisch signifikante Angstsymptome als auch Irritabilität zeigten, 15-mal höher als bei Depressiven, bei denen weder relevante Angstsymptome noch Irritabilität vorlagen (Risk Ratio 24,70; 95 %-Konfidenzintervall 14,50-42,06).

"Irritabilität und Ängstlichkeit sind die zwei Musketiere der Major Depression," resümierte Ohayon. Eine weitere Exploration der Daten habe zudem starke Interaktionen zwischen Ängstlichkeit, Irritabilität und Anhedonie gezeigt. Diese Zusammenhänge würden nun weiter exploriert.

Zu der Frage, inwiefern bei Major Depression angewandte therapeutische Interventionen Irritabilität oder Angstsymptome beeinflussen können, und welchen Einfluss das möglicherweise auf den Verlauf der Depression hat, fehlen bislang aussagekräftige Studien.

American Psychiatric Association (APA) Annual Meeting, San Francisco, USA, 20.-24.5.2023. Session: "Anxious and Irritable Endophenotypes of Major Depressive Disorder"