Eine Online-Umfrage unter Menschen mit Multipler Sklerose (MS) ergab, dass der Übergang von der schubförmig-remittierenden MS (RRMS) in eine sekundär progrediente MS (SPMS) bei zahlreichen Erkrankten bereits stattgefunden hat, dies aber vielen offenbar nicht bekannt ist. Etwa 85 % aller Menschen mit MS leiden an der RRMS. Im Verlauf kann diese in die SPMS übergehen, bei der sich die Symptome schubunabhängig entwickeln und die Behandlung dementsprechend angepasst werden sollte. Ohne immunmodulatorische Therapie (Disease Modifying Therapy, DMT) sind nach 15 Jahren die Hälfte und nach 30 Jahren zwei Drittel von SPMS betroffen [Inojosa H et al. J Neurol. 2021;268(4):1210-21], unter Behandlung kann der Übergang in der Regel hinausgezögert werden. Bei einer SPMS können - vor allem am Anfang - überlagernde Schübe auftreten, sodass die Transition oftmals nicht (sofort) bemerkt wird.

Die Beurteilung des Krankheitsverlaufs durch Menschen mit MS selbst kann helfen, den Übergang zu erkennen, ist aber auch wichtig für die Beratung der Betroffenen und nicht zuletzt für Behandlungsentscheidungen. Um zu erfahren, wie Betroffene ihren MS-Krankheitsstatus, Symptome und deren Auswirkungen auf das tägliche Leben beurteilen, hat das Unternehmen Novartis in Zusammenarbeit mit PD Dr. Antonios Bayas, Universitätsklinik Augsburg, zwischen Dezember 2021 und Februar 2022 unter Erwachsenen mit MS in Deutschland die anonyme Online-Befragung "MS Perspectives" durchgeführt. Der Fragebogen umfasste 36 Items zu soziodemografischen und klinischen Merkmalen sowie zur pharmakologischen und nicht pharmakologischen Behandlung. Insgesamt beantworteten 4.555 MS-Erkrankte die Umfrage, laut Selbsteinschätzung hatten 69,2 % eine RRMS und 15,1 % eine SPMS [Bayas A et al. Mult Scler Relat Disord. 2022;68:104166]. Etwa ein Viertel der Teilnehmenden hatte eine starke oder sehr starke Behinderung, der Verlust von Unabhängigkeit bei täglichen Aktivitäten, Mobilität, Arbeitsfähigkeit und Freizeitgestaltung wurde von Personen mit SPMS als deutlich stärker angegeben als von Personen mit RRMS. Weniger als ein Viertel der Teilnehmenden mit RRMS berichtete, sich von ihrem letzten Schub vollständig erholt zu haben. Etwa 24 % mit RRMS und 44 % mit SPMS erhielten zum Zeitpunkt der Befragung keine DMT. Überraschenderweise berichteten über 65 % der Personen mit RRMS ein schubunabhängiges Voranschreiten der Krankheit.

Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass bei einem nicht unerheblichen Teil der Betroffenen bereits ein Übergang zur SPMS stattgefunden hatte, ohne dass dies von ihnen oder Behandelnden bemerkt worden wäre. Es sollte daher mehr Aufmerksamkeit auf den Verlauf einer MS gerichtet werden, um durch eine entsprechende frühzeitige Intervention den Leidensdruck von Erkrankten zu verringern und eine medikamentöse Unterversorgung zu vermeiden.

Bayas A, Schuh K. Patient reported perspectives on disease burden and early signs of progression in multiple sclerosis in Germany (data collection MS-Perspectives); European Academy of Neurology (EAN) 2022, 26.6.2022, Wien, Poster EPR-159