Eine B-Zell-depletierende Therapie bis kurz vor die Empfängnis kann das Risiko von MS-Schüben in der Schwangerschaft deutlich senken - ohne Risiken für das Kind.

Wenn Frauen mit Multipler Sklerose (MS) schwanger werden wollen, stellt das ihre Ärztinnen und Ärzte oft vor große Herausforderungen: Die meisten MS-Therapeutika sind in der Schwangerschaft nicht zugelassen und müssen abgesetzt werden. Damit steigt aber das Risiko für neue MS-Schübe, selbst wenn die Schwangerschaft einen gewissen schützenden Effekt hat. Besonders hoch sei das Schubrisiko bekanntermaßen nach dem Absetzen von Natalizumab und S1P-Analoga wie Fingolimod, erläuterte Dr. Kristen Krysko von der St.-Michael's-Klinik der Universität in Toronto, Kanada. In solchen Fällen seien alternative Strategien wichtig. Auf der Jahrestagung der amerikanischen Neurologengesellschaft AAN favorisierte Krysko bei Frauen mit sehr aktiver MS vor allem eine Überbrückung der MS-Therapie in der Schwangerschaft mit CD20-Antikörpern, die kurz vor Beginn der Schwangerschaft verabreicht werden.

Dies erfordere allerdings eine gute Planung. Krysko riet dazu, bereits mit dem Beginn einer MS-Therapie die Patientinnen nach ihren Schwangerschaftsplänen zu fragen. Sofern ein Schwangerschaftswunsch in den nächsten fünf bis zehn Jahren bestehe, sollten krankheitsmodifizierende Therapeutika (DMT) mit hohem Rebound-Risiko vermieden werden. Bei kurzfristig geplanter Schwangerschaft bieten sich DMT an, die noch bis zum positiven Schwangerschaftstest problemlos genommen werden können. Dazu zählt die Neurologin etwa Dimethylfumarat (DMF) oder die älteren injizierbaren Therapeutika. Letztere seien vor allem für Frauen mit wenig aktiver MS eine Option, auch könnten Glatirameracetat und Interferone sicher in der Schwangerschaft genommen werden, hierzu lägen inzwischen überzeugende Daten aus Schwangerschaftsregistern vor.

Antikörper gelangen im ersten Trimester nicht zum Ungeborenen

Für alle anderen DMT gelte die Regel, mindestens fünf Halbwertszeiten vor der Empfängnis abzusetzen, wobei Nutzen und Risken abgewogen werden müssten. Für Frauen unter Natalizumab mit hohem Schubrisiko sei eine fortgeführte Therapie mit verlängerten Intervallen (alle sechs Wochen) bis maximal zur 34. Schwangerschaftswoche und ein erneuter Beginn innerhalb von acht Wochen nach der Geburt eine Option. Krysko verwies jedoch auf das erhöhte Risiko für Anämien und Thrombozytopenien bei den Neugeborenen aufgrund der DMT-Exposition.

Für deutlich attraktiver hält die Neurologin eine Überbrückungstherapie mit CD20-Antikörpern für Frauen mit aktiver MS. Die Antikörper würden auch noch Monate nach der letzten Applikation einen Schutz bieten und könnten bis kurz vor der Empfängnis verabreicht werden, da sie im ersten Trimester die Plazentaschranke nicht überschreiten. "Sie sind dann zwar an Bord, haben aber keine Auswirkungen auf das Neugeborene." Für Ocrelizumab bedeute dies, dass Frauen mit einer letzten Infusion sechs Wochen vor der Empfängnis auf der sicheren Seite seien. Ofatumumab könne aufgrund der kürzeren Halbwertszeit auch noch bis kurz vor der Empfängnis verabreicht werden, die Schutzwirkung halte hier aber nicht so lange an. Eine Patientin unter Natalizumab oder S1P-Analoga, die bald schwanger werden wolle, würde Krysko daher auf einen CD20-Antikörper umstellen, um die Schwangerschaft zu überbrücken.

Nach der Geburt fallen die protektiven Effekte der Schwangerschaft weg und das Schubrisiko steigt wieder, zum Teil ist es dann sogar höher als vor der Schwangerschaft. Stillen scheint das Risiko etwas zu senken, der Effekt sei aber eher moderat. Dennoch sollten MS-Kranke zum Stillen ermutigt werden, weil dies sowohl für Mutter und Kind viele positive Effekte habe. Gleichzeitig verlange das erhöhte Schubrisiko nach einer Wiederaufnahme der MS-Therapie, so die Neurologin.

Nach bisherigen Erkenntnissen sei das Stillen unter einer Therapie mit monoklonalen Antikörpern weitgehend unkritisch: Sowohl für Natalizumab als auch CD20-Antikörper gebe es Hinweise auf einen sehr geringen Übergang in die Muttermilch, zudem seien bei gestillten Kindern unter solchen Therapien keine Auswirkungen auf das Blutbild, etwa die Lymphozytenzahl, festgestellt worden. Ähnliches gelte für die injizierbaren Therapien. Deutlich kritischer sieht die Neurologin orale DMT bei stillenden Müttern: Hier lägen entweder noch keine ausreichenden Daten zur Sicherheit vor, oder es würden, wie etwa unter Cladribin, relativ hohe Konzentrationen in der Muttermilch gefunden.

American Academy of Neurology (AAN) Annual Meeting 2023. Boston, USA, 22-27.4.2023. Session C120: "MS Across the Lifespan. Kristen Krysko: Pregnancy and Breastfeeding in MS"