Bei vier von fünf MS-Erkrankten treten früher oder später spastische Beschwerden auf, die oft von Schmerzen begleitet werden - eine Behandlung erhalten aber längst nicht alle Betroffenen. Vor allem die MS-assoziierte Spastik und damit verbundene Schmerzen lösen oft eine Kettenreaktion aus, berichtete Prof. Dr. Uwe Zettl von der Klinik für Neurologie der Universität Rostock. In vielen Fällen komme es zu Blasenfunktions- und Schlafstörungen, Fatigue und Pflegebedürftigkeit. "Die Lebensqualität der Betroffenen nimmt mit der Ausprägung der Spastik deutlich ab." Zwar habe sich die Versorgungssituation über das vergangene Jahrzehnt verbessert, doch noch immer blieben Spastik-Symptome bei etwa 20 % der Erkrankten unbehandelt, Schmerzen bei knapp 30 %.

Verglichen mit den Fortschritten, die Forschende in den letzten Jahren auf dem Gebiet der Immuntherapien bei MS erzielt hätten, seien die Möglichkeiten der symptomatischen Behandlung begrenzt, berichtete Prof. Dr. Orhan Aktas vom Universitätsklinikum Düsseldorf. "Eine gewisse Hilflosigkeit zeigt sich auch an der lebhaften Polypharmazie, die bei der symptomatischen Behandlung der MS eingesetzt wird - mit all den damit verbundenen Neben- und Wechselwirkungen." Ein wichtiger Schritt sei die Zulassung des THC- und CBD-haltigen Oromukosalsprays Nabiximols (Sativex®) im Jahr 2011 gewesen, das bei mittelschwerer bis schwerer MS-induzierter Spastik verordnet werden kann, wenn klassische Antispastika nicht ausreichend wirksam sind. Mittlerweile ist eine breite Anwendungserfahrung dokumentiert: Die placebokontrollierte Studie SAVANT belegte nicht nur eine signifikant verringerte Spastik bei MS-Erkrankten, die zusätzlich zur optimierten spasmolytischen Standardtherapie Nabiximols erhalten hatten - unabhängig vom Behinderungsgrad oder der Erkrankungsdauer nahmen auch Spastik-assoziierte Schmerzen signifikant ab [Markovà J et al. Int J Neurosci. 2019;129(2):119-28].

Bei Fortschreiten der MS verschlechtern sich nicht nur die Spastik und damit assoziierte weitere Symptome, es kommt auch zu kognitiven Beeinträchtigungen der Patienten. Daher ist es wichtig, bei der Therapie darauf zu achten, dass die Kognition durch die Medikation nicht noch weiter eingeschränkt wird. Daten aus einer Metaanalyse [Dykukha I et al. Mult Scler Relat Disord. 2022;68:104173] gaben aber für Nabiximols Entwarnung. Es wurden keine statistisch signifikanten Effekte auf die Kognition beobachtet, was mit der klinischen Erfahrung von Aktas übereinstimmt.

Symposium "Spannungsfeld medizinisches Cannabis - zwischen Erwartung, Erfahrung und Evidenz" Deutscher Schmerzkongress, Mannheim, 21.10.2022; Veranstalter: Almirall