Fragestellung: Wie hoch ist die Remissionsrate von Depressionen ohne Therapie?

Hintergrund: Depressionen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen mit einem großen Ausmaß an persönlichem Leid und sozialen Funktionseinschränkungen. Die meisten Menschen mit einer Depression erhalten keine spezifische Behandlung. Eine Übersichtsarbeit aus 15 Ländern berichtet, dass nur zwei von fünf Menschen mit einer Depression einen wie auch immer gearteten Zugang zum Hilfssystem für psychische Erkrankungen haben oder nutzen. Eine Verzögerung bis zur Aufnahme einer Behandlung kann sowohl die Erkrankungsschwere verstärken als auch die Remissionsrate mindern. Diese systematische Übersichtsarbeit mit Metaanalyse untersucht die Remissionsraten von Menschen auf einer Warteliste in den seit 2010 publizierten Studien, um einen Eindruck der aktuellen Remissionsrate zu erhalten.

Patienten und Methodik: Die Autoren suchten systematisch Studien, in denen Patienten nach einer operationalisierten Depressionsdiagnostik in einer Warteliste aufgenommen wurden. Studien, in denen mehr als ein Drittel der Wartelistenpatienten eine studienunabhängige Depressionstherapie jeglicher Art und Weise erhielten (psychologische Beratung, Psychotherapie, Antidepressiva), wurden ausgeschlossen, außerdem Wartelistengruppen, in denen die Wartelistenteilnehmer Placebo erhielten, da Placebobehandlungen nicht als fehlende Therapie gewertet wurden.

Ergebnisse: Die Übersichtsarbeit schloss 16 Studien ein, die alle in Ländern mit hohem bis mittlerem Einkommen erfolgten. Ausgewertet wurden die Berichte von 612 Wartelistenpatienten. Die Nachverfolgung auf der Warteliste betrug im Schnitt acht Wochen. Die Remissionsrate für eine unbehandelte Depression betrug nach zwölf Wochen 12,5 %. Zwischen den Studien gab es deutliche Unterschiede. Ein Ausschluss von Studien mit geringer Qualität zeigte keinen Unterschied in den Remissionsraten.

Schlussfolgerungen: Die Autoren folgern, dass die Spontanremissionsrate auf Wartelisten im Bereich von früheren Übersichtsarbeiten liegt. Sie vergleichen ihre Ergebnisse auch mit denen früherer Studien zu unbehandelten Depressionsepisoden, die eine Depressionslänge von zwölf Wochen als durchschnittlich ansahen. Zusammenfassend kommen die Autoren zu dem Schluss, dass eine Rate von 87,5 % unremittierter Depressionen nach einem Verlauf von zwölf Wochen eine Beschleunigung des Procederes von der Depressionsdiagnose hin zur Therapie empfiehlt. Längere Phasen unremittierter Depression verschlechtern sowohl den medizinischen als auch den sozialen Verlauf.

Mekonen T, Ford S, Chan GCK et al. What is the short-term remission rate for people with untreated depression? A systematic review and meta-analysis. J Affect Disord 2022; 296: 17-25