Fragestellung: Welchen Einfluss haben die Belastungen in der COVID-19-Pandemie auf Zwangspatienten unter Therapie?

Hintergrund: Menschen mit psychischen Erkrankungen gelten während einer Pandemie aufgrund der Zunahme von Stress und Unsicherheit als besonders gefährdet. Insbesondere bei Patienten mit Zwangserkrankungen, die durch ein Gefühl der Unsicherheit und das Bedürfnis, Gefahren abzuwehren, charakterisiert werden, könnten eine Zunahme von Zwangsgedanken und -handlungen und konsekutiv ein höheres Risiko für eine psychische Verschlechterung auftreten. Dies könnte im Hinblick auf die Virusinfektion insbesondere für Kontaminations- und Krankheitsängste sowie Waschzwänge gelten.

In mehreren aktuellen Veröffentlichungen wurden Zwangspatienten während der COVID-19-Pandemie als besondere Risikogruppe eingestuft und Behandlern empfohlen, Therapien entsprechend anzupassen. Die vorliegende Studie untersuchte die Auswirkungen von COVID-19 nach zwei und nach sechs Monaten auf den Symptomschweregrad von Zwangspatienten.

Patienten und Methodik: Einschlusskriterien waren neben der Primärdiagnose Zwangserkrankung ein Therapiestart mindestens vier Monate vor Pandemiebeginn und eine stabile Medikation seit mindestens zwei Monaten. Die Behandlung umfasste kognitive Verhaltenstherapie mit Exposition-Reaktionsmanagement und familiäre Intervention. Allen Patienten wurden mittlere bis hohe Dosierungen von Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) verordnet; in einigen Fällen auch zusätzlich niedrige Dosen des D2-Antagonisten Aripiprazol. Zur Verlaufsbeurteilung wurde die Clinical Global Impression - Improvement Scale (CGI-I) mit den folgenden drei Fragen verwendet, zu deren Beantwortung je sieben Optionen zur Auswahl standen:

  • Inwieweit beeinflusst COVID-19 Ihren Therapieverlauf?

  • Inwieweit halten Sie sich an die Gesundheitsvorschriften (z. B. Tragen einer Maske, Einhalten der sozialen Distanz, Händewaschen, Einhaltung der Quarantäne usw.) im Vergleich zu Familie/Freunden/Verwandten?

  • Beeinflusst COVID-19 Ihre Zwangsgedanken oder -handlungen?

Im Rahmen der regulären psychiatrischen Untersuchung wurden 113 Patienten nach zwei Monaten und davon 90 Patienten nach sechs Monaten evaluiert.

Ergebnisse: Bei 84 % der Patienten war bei der zweimonatigen Nachbeobachtung keine Verschlechterung der Zwangssymptomatik zu beobachten, beim 6-Monats-Follow-up waren sogar 96 % der Patienten unverändert stabil. Die Ergebnisse wiederholten sich auch in der Untergruppe der Zwangspatienten mit Kontaminations- und Krankheitsängsten, die aufgrund der Zwangsinhalte als besonders gefährdet betrachtet wurden.

Schlussfolgerungen: Zwangspatienten, die pharmakologisch und mit Exposition-Reaktions-Management behandelt wurden, zeigten während der COVID-19-Pandemie keine Verschlechterung der Symptome. Die Ergebnisse deuten auf eine klinische Stabilität bei den meisten Patienten hin, auch bei denen mit kontaminations- und krankheitsbezogenen Zwangsinhalten.

Carmi L, Ben-Arush O, Fostick L et al. Obsessive compulsive disorder during coronavirus disease 2019 (COVID-19): 2- and 6-month follow-ups in a clinical trial. Int J Neuropsychopharmacol 2021; 24: 703-9