Die InFo Neurologie + Psychiatrie bietet ihren Leserinnen und Lesern aktuelle Kongressberichte, zertifizierte Fortbildungen zu wichtigen Themen sowie einen Überblick über aktuelle wissenschaftliche Publikationen (Journal Club). Die Autorinnen und Autoren dieses Journal Clubs referieren dabei die internationale Fachliteratur und kommentieren sie kritisch vor dem Hintergrund ihrer klinischen Praxis und der Situation im deutschen Gesundheitswesen.

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Acht neue Studien pro Tag ...

Die Zahl der jährlichen Neuerscheinungen wissenschaftlicher Artikel mit neurologischer/psychiatrischer Autorenschaft hat sich dabei nach dem Publikationsregister PubMed von 16.495 im Jahr 2000 auf 97.610 im Jahr 2020 circa versechsfacht. Beschränkt man sich bei den Publikationen nur auf kontrollierte klinische Studien, so hätte man im Jahr 2000 jeden Tag des Jahres eine psychiatrische und jeden zweiten Tag eine neurologische Studie lesen müssen. Dies war schon damals praktisch unmöglich. Im Jahr 2020 wären dies aber bereits acht Veröffentlichungen pro Tag gewesen. Dabei ist nicht jede einzelne Veröffentlichung einer klinischen Studie auch eine Offenbarung, und viele klinische Fragen lassen sich besser anhand von Übersichtsarbeiten diskutieren, die vorhandene Literatur systematisch zusammenfassen.

An dieser Stelle folgt ein kleiner Ausflug durch die wachsende Terminologie von Übersichtsarbeiten. Unsystematische Reviews: Die Autoren diskutieren die Arbeiten, die sie wichtig finden - können sehr gut sein, aber auch sehr einseitig und voreingenommen. Systematische Reviews: Nach einer systematischen Literatursuche erfolgt die Zusammenfassung aller Arbeiten, die vorbeschriebene Einschlusskriterien erfüllen. Systematische Reviews mit Metaanalysen: Zahlenmäßige Ergebnisse der eingeschlossenen Studien werden mit mathematischen Verfahren zusammengefasst. Cochrane-Review: Die Review-Methodik erfolgte nach einem von der Cochrane-Vereinigung akzeptierten Protokoll. Umbrella-Reviews: Reviews, die systematisch alle bis dahin veröffentlichten Reviews zusammenfassen.

Mit Blick auf die systematischen Reviews ergibt sich folgendes Bild: Während im Jahr 2000 circa 100 Übersichtsarbeiten und rund 550 klinische Studien erschienen, waren dies im Jahr 2020 mit etwa 3.100 Übersichtsarbeiten dann ungefähr genauso viele wie Orginalarbeiten. Die Zahlen von 2021 zeigen eine erstmalige Abnahme von klinischen Studien bei weiter ansteigenden Zahlen von Übersichtsarbeiten - sicherlich auch eine Folge von Unterbrechungen von klinischen Studien in Pandemiezeiten.

Damit hat die Anzahl der systematischen Übersichtsarbeiten die der klinischen Studien überrundet. Oder nach einem Ausspruch, der Eugen Roth zugeschrieben wird: "Die Wissenschaft sie ist und bleibt, was einer ab vom andern schreibt."

Immer gut informiert

Damit Sie, liebe Leserinnen und Leser, immer gut informiert sind, erhalten sie im Rahmen des Journal Clubs vieldiskutierte Publikationen zusammengefasst. Manchmal enthalten Übersichtsarbeiten bemerkenswerte Einsichten, gelegentlich entsteht aus vielen Daten aber auch nur Datenmüll. Systematisch kann bedeuten, dass wir beim Zusammenführen kleinerer Studien früher wissen, was die bessere Therapieoption ist. Systematisch kann aber auch heißen, dass systematische Fehler produziert werden. Eine Metaanalyse produziert nicht automatisch eine höhere Weisheit.

Darum ist es richtig, an dieser Stelle den Autorinnen und Autoren des Journal Clubs zu danken, die in ihren Kommentaren immer wieder die rasche die Einordnung dieser Publikationen vornehmen - kritisch, aber auch unter Hervorhebung positiver Erkenntnisse, die sonst auch in diesen Informationsfluten untergehen könnten. Denn es gilt der gesamte Ausspruch: "Die Wissenschaft, sie ist und bleibt, was einer ab vom andern schreibt - doch trotzdem ist, ganz unbestritten, sie immer weiter fortgeschritten."

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Prof. Dr. med. Michael Hüll

Klinik für Alterspsychiatrie und Psychotherapie

Emmendingen

E-Mail: m.huell@zfp-emmendingen.de