Fragestellung: Führt eine über Jahre bestehende HIV-Infektion zu einem neurokognitiven Abbauprozess?

Hintergrund: Die im Zusammenhang mit einer HIV-Infektion auftretenden kognitiven Störungen werden im angloamerikanischen Sprachraum als HIV-associated neurocognitive disorder (HAND) bezeichnet. Seit der Verfügbarkeit der antiretroviralen Therapie ist die Lebenserwartung für Menschen mit einer HIV-Infektion deutlich gestiegen. Weltweit sind rund acht Millionen Menschen mit HIV über 50 Jahre alt. Mit Alterungsprozessen assoziierte Erkrankungen wie kardiovaskuläre Erkrankungen und Niereninsuffizienzen werden in dieser Gruppe häufiger gefunden. Als mögliche Ursache wird ein HIV-bedingter beschleunigter Alterungsprozess des Immunsystems oder häufige Infektionen angesehen. HIV beeinflusst auch neuroinflammatorische Prozesse im ZNS und kann so auch zu verfrühten Alterungsprozessen beitragen. In dieser Arbeit wurde erstmals eine Übersicht zu kognitiven Defiziten, Altern und HIV-Infektionen erstellt.

Patienten und Methodik: Die Autoren suchten systematisch Studien zu HIV, Kognition und Alter mit mindestens 30 Teilnehmern ab 1996 (Aufgrund der Einführung der antiretroviralen Therapie ab diesem Zeitpunkt), in denen mindestens 30 % der Menschen mit HIV eine antiretrovirale Therapie einnahmen.

Ergebnisse: Von 37 Studien, die in die Analyse einflossen, waren 31 Querschnittss- und sechs Längsschnittstudien. Die benutzten neuropsychologischen Messinstrumente oder klinischen Kriterien waren leider zu heterogen, um eine gepoolte Analyse durchführen zu können. Die Studien mit Querschnittsanalysen zeigten großteils eine kognitive Leistungsminderung der Menschen mit HIV über 50 Jahren im Vergleich zu einer Kontrollgruppe. Die longitudinalen Studien zeigten zum Großteil eine stärke alterungsassoziierte kognitive Leistungsminderung bei Menschen mit HIV im Vergleich zu einer Kontrollgruppe. Insgesamt waren aber die meisten Studien zu klein, um signifikante Ergebnisse zu erhalten.

Schlussfolgerungen: Die Autoren folgern, dass zukünftige Studien mit einem abgestimmten neuropsychologischen Testinventar und Kriterienkatalog arbeiten sollten, um durch die numerische Zusammenführung der Ergebnisse eine bessere quantitative Abschätzung des Einflusses einer HIV-Infektion auf eine beschleunigte kognitive Alterung zu erhalten. Insgesamt müssten diese Studien so aufgebaut sein, dass ein zu vermutender kleiner Effekt (d = 0,3) auch noch signifikant nachgewiesen werden kann.

Aung HL, Aghvinian M, Gouse H et al. Is There Any Evidence of Premature, Accentuated and Accelerated Aging Effects on Neurocognition in People Living with HIV? A Systematic Review. AIDS Behav 2021; 25: 917-60