Fragestellung: Könnte eine Impfung gegen spezifische Antigene bei der Multiplen Sklerose (MS) die Erkrankung unterdrücken oder sogar heilen?

Hintergrund: Im Rahmen der Entwicklung der für die mRNA-Impfstoffentwicklung gegen SARS-CoV-2 verwendeten Technologie war bereits vor zwei Jahren eine systemisch verabreichbare liposomale Formulierung eines mRNA-Vakzins von Antigenen der antigenpräsentierenden Zellen des lymphatischen Gewebes (CD11c+) von einer Mainzer Arbeitsgruppe um den Biontech-Chef Ugur Sahin entwickelt worden. Während die "genuine" mRNA zu einer starken Aktivierung von T-Helfer-Zellen 1 (TH1) über die Aktivierung von Toll-like-Rezeptoren (TLR) führt, vermittelt eine modifizierte mRNA mit 1-Methylpseudouridin (m1Ψ) statt Uracil eine Aktivierung ohne inflammatorische Komponente, weil die Bindung an die TLR nicht mehr funktioniert. Das könnte zu einer antigenspezifischen Toleranz führen.

Methodik und Ergebnisse: Die Arbeitsgruppe testete die Hypothese zunächst in der MOG-EAE, einem klassischen Tiermodell der MS, bei dem zur initialen Immunisierung der Tiere ein Peptid des Myelinoligodendrozyten Glycoproteins (MOG35-55) verwendet wird. Hierfür wurde MOG35-55-kodierende m1ΨmRNA synthetisiert. Im Experiment wurden die Tiere wie bisher mit MOG35-55 immunisiert und dann an den Tagen 7 und 10 nach der Immunisierung mit der MOG35-55-kodierenden m1ΨmRNA (MOG35-55-m1ΨmRNA) geimpft. Diese Tiere waren komplett geschützt, während die Kontrolltiere sowie die mit einer irrelevanten ΨmRNA behandelten Tiere schwer erkrankten. Zudem zeigte sich, dass die Impfung die Bildung von De-novo-FOXP3+-regulatorischen T-Zellen (Treg) und die Expression von "Exhaustion-Markern" wie PF1 und CTLA4 auf antigenspezifischen CD4+-T-Zellen induzierte.

In einem weiteren Schritt wurde überprüft, ob die Wirkung der Impfung auch zu beobachten ist, wenn das Epitop eines anderen Proteins zur Immunisierung benutzt wird (PLP139-151). Auch diese Tiere waren sowohl durch eine Impfung mit der MOG35-55-m1ΨmRNA als auch durch eine Impfung mit einer PLP139-151-m1ΨmRNA geschützt, was für die Entwicklung einer Bystander-Toleranz spräche. Die Immunantwort auf ein komplett nicht relevantes Antigen blieb bei Gabe der m1ΨmRNA unbeeinflusst.

Schlussfolgerung: Im Tiermodell der MS unterdrückte eine Behandlung mit m1ΨmRNA nahezu komplett die Immunisierungsreaktion und induzierte wahrscheinlich eine Bystander-Toleranz.

Krienke C, Kolb L, Diken E et al. A noninflammatory mRNA vaccine for treatment of experimental autoimmune encephalomyelitis. Science 2021; 371: 145-53