Auch bei der schubförmigen Multiplen Sklerose (RMS) ist die Progression der Behinderung nicht so sehr an die Schübe gekoppelt. "In dieser Beziehung müssen wir wohl umdenken", stellte Prof. Dr. med. Martin Stangel, Leiter Klinische Neuroimmunologie und Neurochemie, Medizinische Hochschule Hannover, während eines von Roche unterstützten Symposiums auf dem DGN-Kongress 2020 fest. Entsprechend mag sich auch die Therapie ändern. Mittel der Wahl ist dabei möglicherweise der CD20-Antikörper Ocrelizumab.

Ergebnisse verschiedener Studien, so Stangel, stellten das Paradigma einer an die Schubfrequenz gebundenen Behinderungsprogression infrage. So habe in einer Untersuchung zwar ein signifikanter Zusammenhang mit einer transienten Behinderung im ersten Krankheitsjahr bestätigt werden können, aber die langzeitige Zunahme der Behinderung habe keine Assoziation zu den Schüben. Vielmehr könne von einer 'stillen Progression' gesprochen werden [Cree B et al. Ann Neurol 2019;85:653-66].

Ein Medikament, das insbesondere auch die Krankheitsprogression adressiert, ist der CD20-Antikörper Ocrelizumab (Ocrevus®). In den Studien OPERA I und II wurde seine Wirksamkeit an Patienten mit RMS im Vergleich zu Interferon beta-1a s.c. untersucht, in der ORATORIO-Studie an Patienten mit primärer Progredienz versus Placebo. PD Dr. Markus Kowarik, Oberarzt an der Neurologischen Universitätsklinik Tübingen, stellte die Langzeitergebnisse dieser Zulassungstudien vor. Zum einen konnte in OPERA I/II die Schubrate über 6,5 Jahre signifikant reduziert werden. Über den gleichen Zeitraum betrug die relative Risikoreduktion (RRR) für Progression 28 %, eine ebenfalls signifikante Differenz (p = 0,049). Nimmt man den Bedarf einer Gehhilfe (EDSS ≥ 6,0) als Zielparameter, betrug die RRR 46 %, womit der Benefit noch größer ausfiel (p = 0,004) [Giovannoni G et al. ACTRIMS/ECTRIMS 2020;P0216].

In der ORATORIO-Studie, mit Patienten mit primär progredienter MS, konnte nach sieben Jahren die RRR einer Progression mit 31 % beziffert werden, wobei allerdings ein Switch auf Verum nach ungefähr drei Jahren erlaubt war. Dass der Vorteil trotzdem noch nachweisbar war, zeige, "dass der frühe Einsatz von Ocrelizumab die Krankheitsprogression signifikant reduziert", hob Kowarik hervor (p < 0,001) [Wolinsky JS et al. ACTRIMS/ECTRIMS 2020;P0237].

Bezüglich der Infektionsgefahr wurden, so der Neurologe, bei 18.218 Patientenjahren 367 schwere Infektionen berichtet, von denen 93,4 % gänzlich ausheilten, bei 4,1 % waren noch Residuen vorhanden und bei 3,8 % wurde Ocrelizumab abgesetzt [Hauser SL et al., ACTRIMS/ECTRIMS 2020;P0389].

Satellitensymposium "Challenge accepted, Progression unterdrücken. Der Schlüssel in der modernen MS-Therapie", virtueller DGN-Kongress 2020, 7.11.2020; Veranstalter: Roche