Luftschadstoffe könnten dazu beitragen, das MS-Risiko in Städten zu erhöhen: In einer Analyse aus Norditalien war die Prävalenz der Multiplen Sklerose in den am stärksten verschmutzten urbanen Regionen am höchsten.

In Städten ist das Risiko für Multiple Sklerose (MS) weitaus höher als in ländlichen Regionen, darauf deuten inzwischen viele Untersuchungen aus der ganzen Welt hin. Die zunehmende Urbanisierung dürfte damit auch einen Teil der global steigenden MS-Inzidenz und Prävalenz erklären. Was genau jedoch in den Städten das MS-Risiko erhöht, ist weitgehend unklar. Büromenschen sehen weniger Sonne und erhalten damit weniger natürliches Vitamin D als Menschen auf dem Land, auch andere Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten könnten bedeutsam sein, zudem wird die stärkere Luftverschmutzung verdächtigt, eine MS zu triggern.

So konnten eine finnische und eine französische Studie zeigen, dass MS-Schübe besonders an Tagen mit hoher Feinstaubbelastung auftreten, eine US-Studie fand einen Zusammenhang zwischen MS-Prävalenz und Feinstaubwerten am Wohnort, und ein Team um Prof. Dr. Roberto Bergamaschi vom Istituto Neurologico Nazionale a Caraterre Scientifico in Padua sah in einer vor zwei Jahren veröffentlichten Publikation einen Zusammenhang zwischen Feinstaubspitzenwerten und zwei Wochen später auftretenden Gadolinium-anreichernden Läsionen im Gehirn von MS-Kranken.

Auf dem Kongress der europäischen Neurologengesellschaft EAN präsentierte Bergamaschi nun eine Auswertung zur Feinstaubbelastung und MS-Prävalenz in der Provinz Padua. Der Norden der Provinz, angrenzend an Mailand, zählt zu den Regionen mit der stärksten Luftverschmutzung in Europa, der Süden ist dagegen von Weinbau geprägt und weist keine nennenswerte Feinstaubbelastung auf. Die Neurologen um Bergamaschi schauten nun zum einen nach der MS-Prävalenz in 188 Kommunen der Provinz, zum anderen auf die durchschnittliche Belastung mit dem besonders lungengängigen ultrafeinen Staub (PM2,5).

Bis um 30 % erhöhte MS-Prävalenz

Wie sich zeigte, ist die MS-Prävalenz in der Provinz, basierend auf 900 MS-Kranken, rund zehnfach höher als 50 Jahre zuvor - derzeit beträgt sie 169 MS-Kranke auf 100.000 Einwohner. In ihrer Analyse fanden die Forscher zwei Zusammenhänge: Zum einen war die MS-Prävalenz in stark urbanisierten Kommunen unabhängig von der Feinstaubbelastung um rund 16 % höher als in ländlichen Regionen, zum anderen ergab sich auch ein Zusammenhang zwischen Feinstaubbelastung und MS-Prävalenz, unabhängig vom Urbanisationsgrad. In besonders stark belasteten Regionen lag die Prävalenz knapp 30 % höher als in kaum betroffenen Kommunen.

Die Forscher um Bergamaschi vermuten, dass ultrafeine Partikel über die Blutgefäße oder das olfaktorische System ins Gehirn gelangen und dort unter anderem Entzündungsprozesse begünstigen. "Wir gehen jedoch davon aus, dass die Luftverschmutzung auf verschiedenen Ebenen das MS-Risiko beeinflusst", erläutert der Neurologe. Er vermutet diverse Interaktionen mit anderen Risikofaktoren.

Letztlich ist ein kausaler Zusammenhang aber nur schwer zu belegen. Möglicherweise gibt es in dicht bebauten Städten mit hoher Feinstaubbelastung auch noch andere Faktoren, die das MS-Risiko steigern.

European Academy of Neurology (EAN) Virtual Congress, press briefing, 22.5.2020