Fragestellung: Ist Nerinetide, eine neuroprotektive Substanz, bei Patienten mit akutem ischämischen Insult und erfolgreicher Rekanalisation durch Thrombektomie wirksam?

Hintergrund: Bisher gab es mehr als 140 Studien, die einen neuroprotektiven Therapieansatz beim akuten ischämischen Insult untersucht haben. Alle geprüften Substanzen waren in Tierexperimenten wirksam, konnten allerdings bei Patienten mit Schlaganfall ihre Wirksamkeit nicht belegen. Ein wesentlicher Kritikpunkt an diesen Studien war, dass eine neuroprotektive Substanz das Hirnareal, das durch die Ischämie geschädigt ist, nur dann erreichen kann, wenn eine interventionelle Revaskularisation oder eine spontane Rekanalisation des verschlossenen Gefäßes stattgefunden hat. Mit der Thrombektomie steht jetzt bei Patienten mit Verschlüssen der großen hirnversorgenden Arterien eine hochwirksame Therapie zur Verfügung, mit der eine Rekanalisationsrate von mehr als 90 % erreicht wird. Daher wurde nun eine Neuroprotektiva-Studie bei Patienten nach erfolgreicher Rekanalisation durch Thrombektomie durchgeführt.

Das Post-Synaptic-Density-Protein 95 spielt eine wichtige Rolle in der Schadenskaskade nach zerebraler Ischämie. Nerinetide ist eine Substanz, die in Tierexperimenten mit diesem Protein interagiert und neuroprotektive Eigenschaften aufweist.

Patienten und Methodik: In die multizentrische, doppelblinde, randomisierte placebokontrollierte Studie wurden Patienten mit einem akuten ischämischen Insult aufgrund eines Verschluss großer hirnversorgender Arterien innerhalb von zwölf Stunden nach Symptombeginn eingeschlossen, wenn eine ausgeprägte funktionelle Beeinträchtigung vorlag. Behandelt wurden Patienten, bei denen eine Thrombektomie durchgeführt worden war und bei denen sich im CT gute Kollateralen zeigten. Die Patienten erhielten entweder 2,6 mg/kg KG Nerinetide bis zu einer Maximaldosis von 270 mg oder Placebo. Sie wurden stratifiziert bezüglich der zusätzlichen intravenösen Gabe von Alteplase und dem verwendeten endovaskulären Stentretriever. Der primäre Endpunkt der Studie war ein guter funktioneller Outcome nach 90 Tagen, definiert als ein Wert auf dem modifizierten Rankin Skala von 0-2 sowie die Sterblichkeit.

Ergebnisse: 545 Patienten erhielten Nerinetide, 556 Placebo. Das mittlere Alter der Patienten betrug 70 Jahre. Der Schweregrad des Schlaganfalls, gemessen mit der NIHSS, betrug 17 (schwere Schlaganfälle). 60 % der Patienten erhielten eine zusätzliche systemische Thrombolyse mit Alteplase. Eine erfolgreiche Rekanalisation fand sich bei 87 % der Patienten. 337 von 549 Patienten (61,4 %) unter Nerinetide und 329 von 556 (59,2 %) Patienten mit Placebo erreichten einen Wert auf der modifizierten Rankin Skala von 0-2 nach 90 Tagen. Dies entspricht einer adjustierten Risk Ratio von 1,04 mit einem 95 %-Konfidenzintervall von 0,96-1,14 (p = 0,35). Auch für die sekundären Zielparameter ergab sich kein signifikanter Unterschied. Eine Subgruppenanalyse ergab auch keinen Einfluss von Alter und Geschlecht, dem Beginn bis zur Behandlung, dem Schweregrad des Schlaganfalls, dem verschlossenen Gefäß und der Art der Sedierung während des Eingriffs. Nebenwirkungen traten unter Verum nicht häufiger auf als unter Placebo.

Schlussfolgerung: In der großen randomisierten Studie bei Patienten mit Schlaganfall nach Thrombektomie hatte die neuroprotektive Substanz Nerinetide keinen Einfluss auf die Schwere der Schlaganfallsymptome nach 90 Tagen.

Hill MD, Goyal M, Menon BK et al. Efficacy and safety of nerinetide for the treatment of acute ischaemic stroke (ESCAPE-NA1): a multicentre, double-blind, randomised controlled trial. Lancet 2020; 395: 878-87