Einige Empfehlungen der neuen S3-Leitlinie „Verhinderung von Zwang: Prävention und Therapie aggressiven Verhaltens“ dürften noch recht einfach umzusetzen sein, etwa die zur medikamentösen Intervention bei aggressiv erregten Patienten: Hier sollte Haloperidol nicht als Monotherapie verabreicht werden, „weil es weniger wirksam und von mehr unerwünschten Wirkungen begleitet ist als andere Medikamente“, heißt es in der Leitlinie, die auf dem DGPPN-Kongress in Berlin vorgestellt worden ist. Da Haloperidol nicht mit anderen QTc-Zeit-verlängernden Arzneien verabreicht werden sollte, bleibe als Kombinationspartner vor allem Lorazepam, erläuterte Dr. Regina Ketelsen vom Klinikum Bethel. Bewährt habe sich etwa die Behandlung mit 5 mg Haloperidol plus 2 mg Lorazepam.

Bei rezidivierendem aggressivem Verhalten und Adhärenzproblemen sollte laut Leitlinie eine Umstellung auf ein Depotpräparat mit den Patienten erörtert werden, und bei aggressivem Verhalten während therapieresistenten psychotischen Störungen vergibt die Leitlinie eine A-Empfehlung für einen Behandlungsversuch mit Clozapin, wobei die Serumspiegel möglichst im oberen Referenzbereich liegen sollten.

Sind Demenzkranke stark agitiert und aggressiv, wird eine Therapie mit Risperidon nahegelegt. Die Dosis sollte maximal 2 mg betragen und langsam eingeschlichen werden, auch wird zu einer möglichst kurzen Behandlungsdauer geraten. Haloperidol soll nur bei zusätzlichem Delir zum Einsatz kommen.

Schwieriger dürfte es schon werden, Präventionsmaßnahmen zu implementieren, erläuterte Professor Thomas Pollmächer vom Klinikum Ingolstadt. So bestehe zwar ein Expertenkonsens, Maßnahmen zu fördern und zu etablieren, die Vertrauen und Zusammenarbeit von psychisch Kranken mit Angehörigen, Stationspersonal und Ärzten förderten. Welches dafür jedoch die besten Strategien sind, sei nach wie vor unklar. Sollten etwa gewaltbereite Patienten gleichmäßig über die Stationen verteilt oder in einer Station gebündelt werden, um die übrigen Patienten besser zu schützen? Das sei bislang noch unzureichend erforscht, erläuterte der Psychiater.

Übergriffe genau protokollieren

Einig sind sich die Leitlinienautoren immerhin darin, dass es einer quantitativ und qualitativ guten Personalausstattung bedarf, sollen Gewalt und Zwang vermieden werden. Für eine gute Qualität sollen Fort- und Weiterbildungsprogramme sorgen, etwa ein Aggressionsmanagement-Training.

Da nun einmal die wenigsten Mitarbeiter in Kliniken 300 Seiten Leitlinientext lesen, sei es wichtig, konkrete Empfehlungen für die jeweiligen Stationen zu geben. Professor Tilman Steinert vom Klinikum Ulm schlug ein Zwölf-Punkte-Programm vor. So sollten die Stationen sowohl aggressive Übergriffe als auch Zwangsmaßnahmen genau protokollieren. Es dürfe nicht dazu kommen, dass ein Verzicht auf Zwangsmaßnahmen zu mehr Übergriffen führe. Weiterhin sollten die geltenden Standards für Zwangsmaßnahmen an die neue Leitlinie angepasst werden. Steinert empfahl zudem einen konkreten Schulungsplan zum Deeskalations- und Aggressionsmanagement. „Alle Beschäftigten müssen mindestens einmal in zwei Jahren eine entsprechende Schulung erhalten.“ Ein Genesungsbegleiter auf den Stationen könne ebenfalls hilfreich sein.

Er empfahl zudem eine Risikoerkennung mit der Brøset Violence Checklist (BVC) oder einem anderen Instrument. Diese müsse allerdings auch Konsequenzen haben. Personen mit erhöhten BVC-Werten sollten in Krisensituationen rasch von mindestens zwei Personen zur Deeskalation betreut werden. Von Vorteil seien zudem operationalisierbare Interventionen wie „Safewards“. Damit würden bereits viele in der Leitlinie gelistete Präventivmaßnahmen strukturiert angegangen.