Mit der Entwicklung eines ketaminhaltigen Nasensprays dürfte in Kürze erstmals nach langer Zeit wieder ein stark wirksames Antidepressivum mit einem nicht primär serotonergen oder noradrenergen Wirkmechanismus auf den Markt kommen. Vor allem Patienten mit therapieresistenten Depressionen könnten davon profitieren, aber auch solche mit bipolaren Störungen, erläuterte Professor Siegfried Kasper von der Universität in Wien. Er riet Ärzten allerdings, den Begriff „therapieresistent“ zu vermeiden, da er Patienten nicht gerade Hoffnung mache. „Letztlich haben die Patienten vielleicht nur auf zwei Therapien nicht angesprochen“, sagte Kasper in Berlin.

Ketamin korrigiert Glutamat-GABA-Dysbalance

Ketamin ermöglicht es, die gestörte Glutamat-GABA-Dysbalance zu korrigieren. So ist bei Depressiven das glutamaterge System überaktiv, hier könnte der NMDA-Rezeptor-Antagonist Ketamin regulierend eingreifen, erklärte Kasper. Auf neuronaler Ebene werde die Aussprossung von Dornfortsätzen an den Dendriten angeregt. Bei Depressiven sei eine stressbedingte Abnahme der Komplexität und Dichte der Fortsätze zu beobachten. In Tierversuchen ließ sich durch Ketamininfusionen eine kräftige Neubildung der postsynaptischen Strukturen anregen.

Diskutiert werden zudem Auswirkungen auf das serotonerge System über eine Bindung an den Serotonintransporter, diese Bindung sei jedoch bei Dosierungen, wie sie in der Depressionstherapie verwendet werden, nicht bedeutsam. Da eine serotonerge Wirkkomponente fehle, könne das Medikament sogar mit irreversiblen MAO-Hemmern wie Tranylcypromin bei sehr schweren therapieresistenten Depressionen kombiniert werden.

Wenig relevant für die Stimmungsaufhellung scheint der dissoziative Effekt von Ketamin zu sein. „Darauf beruht die antidepressive Wirkung vermutlich nicht, denn diese tritt erst später auf.“ Zudem würden die dissoziativen Erlebnisse von den Patienten eher als negativ und beängstigend empfunden.

Bekannt wurde Ketamin vor allem über seine rasche Wirkweise: Kasper verwiese auf eine Metaanalyse von kleineren Studien mit insgesamt 150 depressiven Patienten. Von diesen hätten rund 70 % innerhalb eines Tages auf die Behandlung angesprochen, 30 % gelangten in dieser Zeit sogar in Remission. Allerdings seien die Studien sehr heterogen gewesen. Ähnlich rasch wirke die Substanz auf Suizidgedanken. Der Psychiater zitierte eine randomisiert-kontrollierte Studie mit 80 akut suizidalen Patienten. Unter einer Ketamin-Zusatztherapie war der Wert auf einer Suizidalitätsskala von zu Beginn 14 Punkten nach knapp vier Stunden auf 4 Punkte gesunken, mit Midazolam lediglich auf 10 Punkte. „Unter Ketamin war der suizidale Schub häufig schon nach zwei Stunden weg.“ Die Substanz scheine zudem auf unipolare und bipolare Depressionen ähnlich gut zu wirken, darauf deuteten insgesamt sieben Untersuchungen mit Bipolarpatienten. Kasper warnte jedoch vor einer Behandlung mit dem Wirkstoff bei einer Borderline-Störung, hier bestehe ein hohes Risiko für dissoziative Effekte.

Rückfallrate mehr als halbiert

Für die intravenöse Therapie sind nach Angaben Kaspers mindestens 0,5 mg/kg KG nötig, die Dosis könne bis 1 mg/kg KG gesteigert werden. Kleinere Studien deuteten auf einen Nutzen einer Dosiseskalation nach schlechter Response, allerdings sei die Evidenz dafür noch recht mager.

Der Effekt der Behandlung scheint zudem lange anzuhalten. Kasper verwies auf aktuelle Phase-III-Daten zu intranasalem S-Ketamin als Add-on-Therapie: Hier betrug die Rückfallrate bei stabilen Respondern 26 %, mit Add-on-Placebo waren es 58 %. S-Ketamin wurde zunächst zweimal wöchentlich und anschließend zur Erhaltungstherapie alle zwei Wochen verabreicht.

Als häufige Nebenwirkungen der intravenösen Anwendung nannte der Psychiater vor allem Benommenheit, Unruhe und dissoziative Phänomene am Infusionstag. „Darüber müssen wir die Patienten aufklären.“ Deutlich schwächer ausgeprägt seien die Nebenwirkungen bei einer intranasalen Anwendung. Kasper wies darauf hin, dass Ketamin zur Depressionstherapie in einer rund zehnfach geringeren Dosis als zur Anästhesie verwendet werde. Auch missbräuchlich verwendetes Ketamin werde deutlich höher dosiert eingenommen. Dennoch werde nach einer Zulassung das Nasenspray wohl nicht einfach an die Patienten abgegeben, sondern unter ärztlicher Kontrolle appliziert.