Fragestellung: Kann die Bestimmung von Neurofilament-Leichtketten im Serum als Biomarker für die Aktivität oder den Verlauf der Multiplen Sklerose (MS) genutzt werden?

Hintergrund: Bis heute stehen keine valide nutzbaren Biomarker aus dem Serum zur Verfügung, die eine Einschätzung von Aktivität oder Verlauf bei einer MS erlauben. Neurofilamente (NF) sind Bestandteile der Axone von Neuronen und sind bereits im Liquor hinsichtlich ihrer Nutzbarkeit für die Prognoseabschätzung verschiedener zentralneurologischer Erkrankungen untersucht worden. Auch für die MS konnte bisher in kleineren Studien eine Korrelation zwischen der Zunahme der Konzentration im Liquor und einer Progression der Erkrankung gezeigt werden. Dies gilt jedoch nicht spezifisch für die MS allein, sondern konnte auch für andere neurodegenerative Erkrankungen nachgewiesen werden. Neu ist allerdings ein Verfahren, das die Bestimmung einer Untergruppe der NF, die Neurofilament-Leichtketten (NFL), im Serum erlaubt. Ziel dieser Untersuchung war daher, eine mögliche Korrelation zwischen NFL-Serumspiegeln und Änderungen der klinischen Krankheitsaktivität oder Progression zu verifizieren.

Patienten und Methodik: Die Bestimmung der NFL im Serum erfolgte durch den Single Molecule Array Assay (SIMOA). Dazu wurden 2.183 Serumproben von 259 MS-Patienten (189 mit RRMS, 70 mit PMS) und 259 Proben von gesunden Kontrollen untersucht. Serum-Abnahmen, MRT- und klinische Untersuchungen erfolgten jährlich mit einem mittleren Follow-up von 6,5 Jahren. Im Rahmen der MRT-Untersuchungen wurden auch die Hirnatrophie sowie die Atrophie des Rückenmarkes bestimmt.

Ergebnisse: Die Serumwerte der NFL waren bei Patienten mit klinischen isolierten Syndromen, schubförmiger MS sowie progredienter MS höher als bei gesunden Kontrollen. NFL-Werte oberhalb des 90. Perzentils der Kontrollgruppenwerte waren ein unabhängiger Marker für eine EDSS-Zunahme im darauffolgenden Jahr. Die Wahrscheinlichkeit der EDSS-Zunahme erhöhte sich proportional bei höheren NFL-Perzentilen. Gadolinium-anreichernde oder neue beziehungsweise sich vergrößernde T2-Herde waren ebenfalls mit erhöhten NFL-Serumwerten assoziiert. Je höher das Perzentil des NFL-Serumwerts war, desto ausgeprägter war auch die gemessene Hirnatrophie der kommenden Jahre. So wurden bei Patienten mit NFL-Werten oberhalb des 97,5. Perzentils eine zusätzliche durchschnittliche Hirnatrophie von 1,5 % und eine spinale Atrophie von 2,5 % in fünf Jahren gemessen.

Schlussfolgerungen: Die NFL-Serumwerte korrelierten mit zukünftigen klinischen und MRT-Parametern hinsichtlich Erkrankungsaktivität und Erkrankungsschwere. Die Bestimmung der NFL im Serum ist eine valide Methode zur Evaluation der Erkrankungsprogression und leicht durchzuführen. Die NFL-Spiegel reflektieren die neuroaxonale Schädigung möglicherweise besser als das MRT.

Kommentar von Volker Limmroth, Köln

Hilfreich, aber nicht spezifisch

Die Daten sind auf den ersten Blick sehr überzeugend. Bereits die Bestimmung der NFL im Liquor hatte klare Korrelationen zwischen der Höhe der NFL-Werte und der Erkrankungsprogression gezeigt. Die Notwendigkeit regelmäßiger Lumbalpunktionen schränkte die Anwendbarkeit jedoch ein. Die Bestimmung dieser Werte aus dem Serum klingt daher vielversprechend. Aber: Die Erhöhung der NFL in Liquor oder Serum ist nicht spezifisch. Mit anderen Worten: Die Werte lassen sich nur dann sinnvoll hinsichtlich einer Erkrankung interpretieren, wenn der Patient wirklich nur unter dieser einen Erkrankung leidet. Je älter der Patient ist und je mehr Erkrankungen oder neurodegenerative Mechanismen vorliegen, desto unschärfer ist die Interpretierbarkeit. Ferner: Die absoluten Werte variieren individuell und können (bisher) nicht wie herkömmliche standardisierte Laborwerte verwendet werden. Die bisherigen Verwendungsmöglichkeiten liegen daher in regelmäßigen Verlaufsbeobachtungen bei jüngeren Patienten ohne weitere Erkrankungen des ZNS. Hier könnte die Bestimmung der NFL eine sinnvolle Ergänzung der klinischen Evaluation und MRT-Parameter im Verlauf und unter Therapie sein. Zudem eignet sich die Bestimmung der NFL gut als Parameter für Kohorten, um den Umfang therapeutischer Effekte besser einschätzen zu können. Der erhoffte Biomarker, der die klinische Aktivität einer MS genau am jeweiligen Tag wie eine BSG widergibt, ist mit den NFL im Serum aber leider auch noch nicht gefunden. Aber die Bestimmung der NFL im Serum ist zweifellos eine Bereicherung im klinischen Alltag, wenn andere Parameter nicht eindeutig sind.

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Prof. Dr. med. Volker Limmroth, Köln-Merheim