Fragestellung: Ist Erenumab, ein monoklonaler Antikörper gegen den Rezeptor des Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP), in der Migräneprophylaxe wirksam, wenn andere medikamentöse Therapien versagt haben?

Hintergrund: Etwa 30 % aller Migränepatienten benötigen eine Migräneprophylaxe. Allerdings ist die Compliance mit den bisher verfügbaren Therapien schlecht. Dies beruht überwiegend auf den unerwünschten Arzneimittelwirkungen der Medikamente. Erenumab ist ein CGRP-Rezeptor-Antikörper mit prophylaktischer Wirksamkeit bei Migräne und einem sehr guten Nebenwirkungsprofil. In der vorliegenden Studie wurde die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Erenumab bei Patienten mit episodischer Migräne untersucht, bei denen eine vorherige Behandlung mit zwei bis vier Migräneprophylaktika erfolglos durchgeführt worden war.

Patienten und Methodik: Die LIBERTY-Studie war eine zwölfwöchige, doppelblinde, placebokontrollierte, randomisierte Studie. Die Studienteilnehmer waren zwischen 18 und 65 Jahre alt und litten seit mindestens zwei Jahren an einer episodischen Migräne mit oder ohne Aura. Die Patienten hatten drei Monate vor Studieneinschluss an durchschnittlich vier bis 14 Tagen pro Monat Migräneattacken und waren erfolglos (entweder in Bezug auf die Wirksamkeit oder die Verträglichkeit oder beides) mit zwei bis vier vorbeugenden Medikamenten behandelt worden. Die Teilnehmer erhielten nach der Randomisierung alle vier Wochen entweder Erenumab 140 mg subkutan (2 × 70 mg) oder Placebo für insgesamt zwölf Wochen. Der primäre Endpunkt war der Anteil der Patienten mit einer 50%igen oder größeren Reduktion der durchschnittlichen monatlichen Anzahl der Migränetage in den Wochen neun bis zwölf.

Ergebnisse: Zwischen März 2017 und Oktober 2017 wurden 246 Teilnehmer rekrutiert. Davon wurden 121 in die Erenumabgruppe und 125 in die Placebogruppe randomisiert. Die Patienten waren im Mittel 44 Jahre alt und 81 % waren Frauen. Die Zahl der monatlichen Migränetage betrug im Mittel 9,2 Tage. 95 von 246 Studienteilnehmern (39 %) hatten zuvor erfolglos zwei medikamentöse Prophylaxen erhalten. 93 Patienten (38 %) hatten drei und 56 (23 %) vier erfolglose Prophylaxen erhalten. Die am häufigsten zuvor eingenommen Medikamente waren Topiramat (85 %), Propranolol (50 %) und Amitriptylin (45 %).

In den Wochen neun bis zwölf hatten 36 Patienten (30 %) in der Erenumabgruppe eine mindestens 50%ige Reduktion der durchschnittlichen Anzahl der monatlichen Migränetage gegenüber dem Ausgangswert erreicht. In der Placebogruppe traf dies auf 17 Patienten (14 %) zu (Odds Ratio 2,7; 95 %-Konfidenzintervall 1,4 – 5,2; p = 0,002). Erenumab war auch im Hinblick auf die Reduktion migränebedingter körperlicher Beeinträchtigungen signifikant wirksamer als Placebo.

Die Verträglichkeits- und Sicherheitsprofile von Erenumab und Placebo unterschieden sich nur minimal. Die häufigsten behandlungsbedingten Nebenwirkungen von Erenumab waren Schmerzen an der Injektionsstelle, die bei jeweils sieben (6 %) Teilnehmer in beiden Gruppen auftraten, und Obstipation.

Schlussfolgerungen: Im Vergleich zu Placebo war Erenumab bei Patienten mit episodischer Migräne wirksam, die zuvor auf zwei bis vier frühere migräneprophylaktische medikamentöse Behandlungen nicht angesprochen oder sie nicht vertragen hatten. Erenumab ist eine Option für Patienten mit schwer zu behandelnder Migräne, bei denen die bisher empfohlenen Prophylaxen entweder unwirksam sind, nicht vertragen werden oder kontraindiziert sind.

Kommentar von Hans-Christoph Diener, Essen

Erwartungshaltung sinkt mit der Anzahl erfolgloser Vortherapien

Bisher galt in der Migräneprophylaxe das Dogma, dass mit einer zunehmenden Anzahl von gescheiterten Therapien die Erfolgsaussichten für weitere Prophylaxen sinken. Die LIBERTY-Studie zeigt jetzt, dass das offenbar für den CGRP-Rezeptorblocker Erenumab nicht gilt. Erenumab war auch bei Patienten wirksam, bei denen bis zu vier vorherige Therapien nicht wirksam waren oder wegen Nebenwirkungen abgebrochen wurden. Die Studie hat aber auch noch ein weiteres wichtiges Ergebnis: Mit der Zahl der erfolglosen Vortherapien sinkt die Wirksamkeit in der Placebogruppe. Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass hier die Erwartungshaltung bezüglich einer wirksamen Therapie reduziert ist. Es ist zu erwarten, dass Erenumab in der Anfangsphase nach der Zulassung und der Markteinführung im November 2018 überwiegend bei Patienten eingesetzt wird, welche die Einschlusskriterien der LIBERTY-Studie erfüllen. Ob die Dosis von Erenumab 140 mg betragen muss oder ob 70 mg ebenso wirksam wären, ist bisher nicht bekannt.