Fragestellung: Ist die hämatpoetische Stammzelltransplantation (HSCT) in der Behandlung der schubförmigen Multiplen Sklerose (MS) wirksam?

Hintergrund: MS ist eine chronische autoimmunologische Erkrankung, die zu hohen Behinderungsgraden führen kann. Zwar hat sich der klinische Outcome unter den neuen therapeutischen Optionen deutlich verbessert, aber dennoch bleiben nicht alle Patienten progressionsfrei. Zudem sind diverse Aspekte einer immunologischen Dauertherapie nicht geklärt. Anders als die herkömmlichen immunologischen (Dauer-)Therapien ist der Grundgedanke der HSCT, autoreaktive T-Lymphozyten dauerhaft zu eliminieren und eine Art immunologischen Neustart zu beginnen — ohne inflammatorisches Umfeld und ohne kostimulative Faktoren. Eine kleine Fallserie von Patienten, die eine HSCT erhalten hatten, zeigte eindrucksvoll, dass bis zu 70 % von ihnen auch nach vier Jahren komplett progressionsfrei blieben. Ziel der hier vorliegenden Studie war es, diesen Therapieansatz in einem prospektiven randomisierten Design zu überprüfen.

Patienten und Methodik: Von September 2005 und Juli 2016 wurden 110 Patienten mit schubförmiger MS in die Studie aufgenommen. Einschlusskriterien waren unter anderem mindestens zwei Schübe im vorangegangenen Jahr unter konventioneller Immuntherapie sowie ein EDSS (Expanded Disability Status Scale) von 2,0–6,0. Die Patienten erhielten eine HSCT oder eine andere Immuntherapie im Sinn einer Eskalationstherapie (n = 55). Patienten in der HSCT-Gruppe (n = 55) bekamen neben der HSCT zunächst Cyclophosphamid (200 mg/kg) in Kombination mit Antithymozytenglobulin (6 mg/kg). Der primäre Endpunkt war die Krankheitsprogression, definiert als Zunahme des EDSS um mindestens einen Punkt nach mindestens zwölf Monaten, bei mindestens zwei Evaluationen im Abstand von sechs Monaten. Sekundäre Endpunkte umfassen unter anderem die Zahl der Schübe in den jeweiligen Gruppen in definierten Zeitabständen sowie die Zeit bis zum ersten Schub.

Ergebnisse: Insgesamt beendeten 103 Patienten (66 % Frauen, mittleres Alter 36,8 Jahre) die Studie. Bei 98 Patienten betrug der Follow-up mindestens ein Jahr, bei 23 Patienten fünf Jahre mit jährlichen Untersuchungen (mittlerer Follow-up 2,8 Jahre). In der HSCT-Gruppe wiesen drei Patienten eine Progression auf, in der konventionellen Gruppe 34 Patienten. Die mittlere Zeit bis zur Progression betrug in der konventionellen Gruppe 24 Monate, konnte aber für die HCST-Gruppe aufgrund der geringen Zahl von Ereignissen nicht berechnet werden. Der EDSS verbesserte sich in der HSCT-Gruppe im ersten Jahr von 3,38 auf 2,36 und verschlechterte sich in der konventionellen Gruppe von 3,31 auf 3,98 (p < 0,001). Im ersten Jahr zeigten 36 Patienten (69 %) in der konventionellen Gruppe Schubereignisse, jedoch nur ein Patient in der HSCT-Gruppe. In keiner Gruppe traten Todesfälle oder Zeichen einer non-hematopoitischen Toxizität Grad 4 auf (Myokardinfarkte, Sepis oder andere lebensbedrohliche Situationen). Infektionen waren in der HSCT-Gruppe etwas häufiger.

Schlussfolgerungen: Die HSCT zeigte gegenüber konventionellen Immuntherapien ein deutlich längeres Zeitintervall bis zur erneuten Progression und auch in sekundären Endpunkten eine signifikant niedrigere Erkrankungsaktivität.

Kommentar von Volker Limmroth, Köln

Hochwirksame Therapie — aber sicherlich nicht für alle Patienten

Zunächst muss man die Autoren für ihre Ausdauer und ihr Durchhaltevermögen bei dieser Studie beglückwünschen, die in dieser Form bereits 13 Jahre in Anspruch genommen hat. Die Daten sprechen eigentlich in allen Aspekten für die HSCT. Selbst die Nebenwirkungsrate ist erstaunlich gering. Aber so eindeutig und interessant die Daten auch sind, die Schwäche der Studie ist die uneinheitliche Therapie in der konventionell behandelten Gruppe. Insbesondere der Aspekt, dass die ersten Patienten bereits 2005 eingeschlossen wurden als noch nicht einmal Natalizumab auf dem Markt war, verzerrt die Ergebnisse der konventionellen Gruppe, der eben ab 2017/2018 nach Zulassung von Alemtuzumab, Cladibrin und Ocrelizumab, andere therapeutische Optionen zur Verfügung standen als in den Jahren davor. Dieser Aspekt schmälert dennoch nicht den eigentlichen Beitrag, den die Studie geleistet hat, nämlich eine HSCT als Alternative bei hochaktiven Patienten zu evaluieren und ihre generelle Anwendbarkeit zu demonstrieren. Die HSCT sollte weiter untersucht und standardisiert werden. Für eine breite Anwendung kommt sie bisher aber nicht infrage, zumal nur wenige Zentren in der Lage wären, sie anzubieten.

figure 1

Prof. Dr. med. Volker Limmroth, Köln-Merheim