Fragestellung: Reduziert der Phosphodiesterasehemmer Ibudilast die Progression bei progressiver Multipler Sklerose (MS)?

Hintergrund: Anders als bei der schubförmigen MS stehen zur Behandlung der progressiven MS (fast) keine nachhaltig wirksamen Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Ibudilast ist eine Substanz mit vielfältigen Wirkungen und Wirkmechanismen und inhibiert insbesondere die Phosphodiesterase 4 (PDE4) sowie andere Subtypen. Die Substanz wirkt als Bronchiodilatator, Vasodilatator und Thrombozytenaggregationshemmer. In Japan wird es bereits zur Behandlung von Asthma, allergischer Konjunktivitis und Heuschnupfen eingesetzt. Die Substanz überwindet die Bluthirnschranke und supprimiert die Aktivierung von Gliazellen. Verschiedene Studien zeigten, dass Ibudilast in der Reduktion neuropathischer Schmerzsyndrome nützlich sein kann und Alkoholabhängigkeit reduziert. Aufgrund einer potenziellen Inaktivierung des Toll-like-4-Rezeptors (TLR4) werden auch antiinflammatorische Effekte vermutet.

Patienten und Methoden: In dieser Phase-II-Studie wurden MS-Patienten, die entweder an einer sekundären oder primär progredienten MS erkrankt waren in einem radomisierten, doppelblinden Design entweder mit Ibudilast (zirka 100 mg/Tag, oral als Kapseln) oder mit Placebo für 96 Wochen behandelt. Der primäre Endpunkt war der Unterschied im Ausmaß der Hirnatrophie, gemessen als Gehirn-Parenchym-Fraktion (brain parenchymal fraction, BPF). Sekundäre Endpunkte waren weitere MRT-Parameter in spezifischen Hirnstrukturen wie die Änderungen in der Pyramidenbahn, gemessen mittels Diffusion-Tensor-Imaging (DTI), die Magnetisation-Transfer-Ratio (MTR) in normal erscheinendem Hirngewebe etc. Zur Erfassung wurden die Patienten alle sechs Monate umfangreichen MRT-Untersuchungen unterzogen.

Ergebnisse: Insgesamt konnten 255 Patienten in die Studie eingeschlossen werden. Davon erhielten 129 Ibudilast und 126 Placebo. Unter einer primär chronisch progredienten MS litten in der Ibudilast- 53 % und in der Placebogruppe 52 % der Patienten. Der Unterschied in der BPF-Änderung betrug in der Ibudilast-Gruppe −0,0010, in der Placebogruppe −0,0019, was einem Unterschied von 0,0009 Einheiten Atrophie pro Jahr zwischen den beiden Gruppen entsprach oder etwa 2,5 ml weniger Hirngewebeverlust unter Ibudilast in 96 Wochen (p < 0,04). Der prozentuale Anteil der Patienten, die keine klinische Progression nach 96 Wochen aufwiesen, war jedoch in beiden Gruppen gleich groß, mit einem nicht signifikanten Trend zugunsten von Ibudilast. Die häufigsten Nebenwirkungen im Zusammenhang mit Ibudilast waren gastrointestinaler Natur, einschließlich Übelkeit und Durchfall sowie Kopfschmerzen und Depressionen. Der Patientenanteil, der die Studie vorzeitig beendete, war in der Ibudilast-Gruppe etwas größer (16 % vs. 11 %), aber nicht signifikant und lag im üblichen Rahmen klinischer Studien.

Schlussfolgerungen: Ibudilast reduziert bei Patienten mit progressiver MS bei einer Behandlungszeit von 96 Wochen signifikant die Entwicklung der Hirnatrophie, allerdings ohne erkennbare klinische Effekte.

Kommentar von Volker Limmroth, Köln

Neue Substanz mit interessanten Wirkmechanismen

Auch ohne klinische Effekte nach 96 Wochen sind die Ergebnisse spannend. Ibudilast reduziert den Verlust von Gehirngewebe in diesem Zeitraum bereits erkennbar. Aufgrund der verschiedenen pharmakologischen Mechanismen, die durch die Substanz beeinflusst werden, bleibt schwer abschätzbar, wodurch diese Effekte erzeugt werden. Allerdings ist auch der Prozess der Hirnatrophie bei MS-Patienten bis heute nicht gut verstanden. Ob auch klinische Effekte beeinflusst werden, kann bisher nur vermutet werden. Jedoch ist es nicht unwahrscheinlich, auch wenn die zugrunde liegenden Mechanismen unklar bleiben, dass sich bei längeren Untersuchungszeiträumen auch klinische Effekte zeigen würden. Darüber hinaus sind klinische Effekte möglicherweise schon nach 96 Wochen im Bereich der Kognition erkennbar, die bekanntermaßen bei dem hier erhobenen EDSS aber nicht mituntersucht werden.

Zusammenfassend sind dies sehr interessante Daten zu einer Substanz mit vielen metabolischen, immunlogischen und möglicherweise auch neuroprotektiven Mechanismen, die unbedingt weiter untersucht werden sollte.

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Prof. Dr. med. Volker Limmroth, Köln-Merheim