Der anti-inflammatorische CD20-Antikörper Ocrelizumab ist seit Januar 2018 zur Behandlung der schubförmigen und — als weltweit erstes Mittel — der frühen primär progredienten Multiplen Sklerose (PPMS) zugelassen.

Professor Gavin Giovannoni, Leiter der Neurologie am Blizard Institute of Cell and Molecular Science, Barts and The London School of Medicine and Dentistry in London, eröffnete das Symposium zu Ocrelizumab (Ocrevus®). Insbesondere seit 1990 seien bei der Behandlung der MS große Fortschritte erzielt worden: Durch die mit Ocrelizumab erreichte Therapiequalität sei es möglich geworden, die Krankheitsaktivität und -progression direkt zu unterdrücken. Das habe sich in der Auswertung der OPERA-1- und OPERA-2-Studien zur schubförmigen MS (RMS) und in der ORATORIO-Studie zur PPMS erwiesen. Die OPERA-Studien hätten, verglichen mit Raten von 0,2 bis 0,5 unter der Behandlung mit IFN-ß-1a, eine massive Abnahme der Rate von T1-GD+-Läsionen pro MRT-Scan auf 0,02 unter Ocrelizumab ergeben (p < 0,001) [Hauser SL et al. AAN 2018 (Poster 366)]. Die Hazard Ratio (HR) für eine fortschreitende Behinderung habe 0,60 (p = 0,003) während der verblindeten Studienphase betragen, der Anteil von Patienten mit NEDA-Status habe gegenüber IFN-ß-1a von 27,1 % auf 47,7 % zugenommen.

Die Wirksamkeit von Ocrelizumab bei PPMS sei in der ORATORIO-Doppel-blindstudie untersucht worden, so Giovannoni. Auch bei diesem MS-Subtyp sei eine signifikante Reduktion des Fortschreitens der Behinderung gegenüber IFNß-1a beobachtet worden (HR = 0,25; 95 %-KI 0,59–0,98; p = 0,02).

Zur praxisnäheren Abrundung des NEDA(No evidence of disease activity)-Status sei dieser für ORATORIO um zwei zeitabhängige Bewegungstests (Timed 25-foot walk [T25FW] und 9-Hole peg test [9HPT]) zum NEPAD(No evidence of progression or active disease) erweitert worden [Havrdová E. Platform Presentation at EAN 2017 (PR1092]. Der Anteil von Patienten, die nach 96 Wochen den NEPAD-Status erreicht hätten, sei von 9,4 % unter IFN-ß-1a auf 29,9 % unter Ocrelizumab gestiegen (Relatives Risiko [RR]: 3,15; 95 %-KI: 2,07–4,79; p < 0,001) [Montalban X. Platform Presentation at EAN 2017, PR2086).

Als Fazit formulierte Giovannoni, dass Ocrelizumab das Augenmerk in der MS-Behandlung auf die Bedeutung der Progressionskontrolle verschoben und als nächstes therapeutisches Ziel die Verhinderung von Endorganschäden am Gehirn vorgegeben habe.

Professor Ralf Gold, Direktor der Neurologischen Universitätsklinik, St. Josef Hospital, der Ruhr-Universität Bochum, fasste die bisher bekannten Daten zur Sicherheit von Ocrelizumab zusammen. Demnach seien an 3.778 erwachsenen Patienten 9.474 Behandlungsjahre in Studien erfasst worden. 2.078 Patienten (55 %) hätten mindestens vier Dosen erhalten und befänden sich somit seit mindestens zwei Jahren in der Therapie mit dem Anti-CD20-Antikörper. Insgesamt hätten bisher über 50.000 Patienten das Medikament erhalten.

In den OPERA-Studien zur RMS habe sich die Zahl der unerwünschten Ereignisse auf dem gleichen Niveau wie bei IFN-ß-1a bewegt (jeweils 83,4 % bei 689 bzw. 688 Patienten), in der ORATORIO-Untersuchung zur PPMS seien unerwünschte Wirkungen unter Ocrelizumab mit 95,1 % (n = 462) etwas häufiger aufgetreten als unter IFN-ß-1a mit 90,4 % (n = 216). In beiden Studien seien schwere unerwünschte Wirkungen unter Ocrelizumab allerdings seltener beobachtet worden als unter IFN-ß-1a (OPERA: 7,0 % vs. 8,8 %; ORATORIO: 21,0 % vs. 23,4 %).

Das Spektrum der Nebenwirkungen werde unter Ocrelizumab bei beiden MS-Formen im Unterschied zu IFN-ß-1a von Infusionsreaktionen (IRR) und Infektionen der oberen Atemwege dominiert. Diese seien im Allgemeinen aber gut zu behandeln. Patienten mit aktiven Infektionen oder stärkeren Einschränkungen der Immunfunktion dürften nicht behandelt werden. Aus diesem Grund sollte der Immunstatus der Patienten vor jeder Injektion überprüft werden. Standardimpfungen sollten vor dem Behandlungsbeginn abgeschlossen sein, eine saisonale Grippeimpfung könne erfolgen, doch sei mit einer abgeschwächten Immunantwort zu rechnen.