Fragestellung: Das Ziel der Studie war es, die Ursache für die Ausbildung einer der häufigsten Formen zerebraler Gefäßläsionen, der arteriovenösen Missbildungen (AVM), aufzuklären.

Hintergrund: AVM sind sporadisch auftretende Gefäßmissbildungen des Gehirns, die aus abnormen Gefäßkurzschlüssen zwischen Arterien und Venen, ohne dazwischen liegendes kapillares Netzwerk, bestehen. Da die venösen Gefäßwände dem erhöhten Druck auf Dauer oft nicht standhalten können, sind AVM eine häufige Ursache zerebraler Blutungen. In seltenen Fällen, mit familiärer Häufung, sind AVM-artige Läsionen Folge erblicher genetischer Defekte. Die Autoren stellten daher die Hypothese auf, dass sporadische AVM möglicherweise auch eine genetische Ursache haben könnten, aber eben nicht durch Keimbahnmutationen, sondern vielmehr durch somatische Mutationen in Zellen des zerebralen Gefäßsystems verursacht werden.

Patienten und Methodik: Durch tiefe Sequenzierung aller kodierender Exone (des „Exoms“) aus Gewebeproben von AVM von 26 Patienten und einem Vergleich mit der Sequenz in Zellen des peripheren Blutes derselben Patienten konnten in der Mehrzahl der untersuchten Fälle Mutationen im KRAS-Gen gefunden werden und zwar ausschließlich in den AVM-Proben, nicht aber in den korrespondierenden Blutzellen. Dieser Befund wurde in Gewebeproben einer weiteren Kohorte von 33 Patienten bestätigt. Durch die selektive Untersuchung unterschiedlicher Zellpopulationen in den Gewebeproben konnte dann nachgewiesen werden, dass die Mutationen nahezu ausschließlich in Endothelzellen auftraten. Diese Endothelzellen zeigten in Kultur einen abnormen Phänotyp, der auf eine Fehlfunktion des zellulären Aktinskeletts zurückgeführt werden konnte.

Durch molekularbiologische Untersuchungen konnte zudem gezeigt werden, dass die ursächlichen Mutationen zu einer Aktivierung des MAPKinase/ERK (extracellular signal regulated kinase) Signalwegs führen. Dieser Signalweg ist unter anderem bedeutsam für Prozesse von Zellproliferation und -differenzierung.

Schlussfolgerung: Da Inhibitoren dieses Signalwegs in der Krebstherapie gebräuchlich sind, folgern die Autoren, dass diese auch in klinischen Studien in der Behandlung von AVM untersucht werden sollten.

Kommentar von Thomas Gasser, Tübingen

Möglichkeit einer gezielten Therapie von AVM

Arteriovenöse Malformationen (AVM) galten bisher als angeborene Gefäßanomalien. AVM des Gehirns sind zwar selten, stellen aber vor allem bei Kindern und jungen Erwachsenen durch ein Blutungsrisiko von 2–3 % pro Jahr eine bedeutende Ursache für hämorrhagische Schlaganfälle dar. Die Ursache für die Entstehung dieser Gefäßanomalie war bisher unbekannt. Bei Gefäßanomalien in anderen Organen waren bereits somatische Mutationen als ursächlich identifiziert worden [1]. Es war also naheliegend anzunehmen, dass sporadische zerebrale AVM durch somatische Mutationen bedingt sein könnten.

Um mögliche Kandidatenmutationen aufzuspüren, wurde die Gesamtexomsequenzierung genutzt. Dabei war entscheidend, dass eine genetische Variante nur dann als ursächlich infrage kam, wenn sie in dem pathologischen Gewebe, also der AVM selbst, nicht aber im Blut des Patienten nachweisbar war. Diese Kriterien wurden in einer ersten Untersuchungsrunde mit 26 Patienten nur von sechs genetischen Varianten erfüllt, wobei vier davon im KRAS-Gen gelegen waren. Weitere Untersuchungen mithilfe der empfindlicheren „Droplet Digital PCR“, identifizierten bei insgesamt 29 von 39 untersuchten Gewebeproben KRAS-Mutationen. Dieser Befund wurde in einer unabhängigen Patientengruppe einer anderen Population bestätigt.

KRAS kodiert ein Protein, das zur Familie der RAS-Proteine gehört. Es handelt sich dabei um GTP-bindende Proteine, die in der intrazellulären Signalgebung eine Rolle spielen. Das KRAS-Protein ist ein in vielen Tumoren aktiviertes Onkogen. Dennoch kommen maligne Entartungen von AVM praktisch nicht vor. Dies führen die Autoren darauf zurück, dass die Wirkung einer aktivierenden KRAS-Mutation kontext-spezifisch ist. Sie erhöht in Endothelzellen die Zellmobilität und verändert den Gefäßumbau, führt aber nicht zur unkontrollierten Zellteilung. In anderen Zelltypen kann eine KRAS-Aktivierung zur malignen Entartung beitragen. Dennoch ergibt sich aus dieser Entdeckung die Möglichkeit, den KRAS-Signalweg in AVM gezielt zu beeinflussen und so möglicherweise eine Therapieoption für sonst nicht behandelbare AVM zu eröffnen.

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Prof. Dr. med. Thomas Gasser, Tübingen

© Ingo Rappers/Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH)