Fragestellung: Hängt die prophylaktische Wirkung von Acetylsalicylsäure (ASS) in der Primärprävention vaskulärer Ereignisse vom Körpergewicht ab?

Hintergrund: Acetylsalicylsäure ist die weltweit am häufigsten verwendete Substanz zur Primär- und Sekundärprävention vaskulärer Ereignisse. ASS hemmt die Aggregation der Thrombozyten über eine Hemmung von COX-1, wobei das Ausmaß der COX-1-Hemmung vom Körpergewicht abhängig ist. Diese Beobachtung hatte allerdings bisher keinerlei Einfluss auf die Planung und Durchführung randomisierter Studien zur Primär- oder Sekundärprävention von Schlaganfall und Herzinfarkt. Die Arbeitsgruppe um Peter Rothwell in Oxford hat daher jetzt in einer Auswertung von individuellen Patientendaten aus randomisierten Studien den Einfluss der ASS-Dosis und des Körpergewichts auf die Prävention kardio- und zerebrovaskulärer Ereignisse untersucht.

Patienten und Methodik: Die Arbeitsgruppe hatte Zugang zu zehn randomisierten Studien, in denen ASS in der Primärprävention vaskulärer Ereignisse untersucht worden war. Diese Studien umfassten 117.279 Teilnehmer. Für die Analyse wurden Patienten in ein Körpergewicht unter und über 70 kg eingeteilt. Untersucht wurden die Endpunkte Schlaganfall, Herzinfarkt und vaskulärer Tod sowie kardiovaskuläre Ereignisse. Die Analyse ergab, dass eine niedrigere Dosis ASS zwischen 75 mg und 100 mg bei Patienten mit einem Körpergewicht von 70 kg oder weniger zu einer 25 %igen Risikoreduktion vaskulärer Ereignisse führte. Dies war für Teilnehmer, die mehr als 70 kg wogen nicht der Fall. Die Sterblichkeit war bei Patienten, die 70 kg oder mehr wogen im Vergleich zu Teilnehmern, die weniger als 70 kg wogen, um 33 % erhöht. ASS-Dosierungen von mehr als 325 mg hatten die umgekehrte Interaktion mit Körpergewicht. Die höheren Dosen waren nur bei Patienten mit einem Körpergewicht von mehr als 70 kg wirksam. Die Ergebnisse galten sowohl für Männer als auch für Frauen, für Personen mit und ohne Diabetes mellitus sowie in den Studien, in denen ASS zur Sekundärprävention eingesetzt worden war.

Schlussfolgerungen: Die Analyse der Interaktion von ASS-Dosis und Körpergewicht bei 117.279 Personen in der Prävention kardiovaskulärer Ereignisse zeigte, dass eine niedrigere ASS-Dosis nur bei Patienten mit einem Körpergewicht von weniger als 70 kg wirksam ist und die höhere Dosis von mehr als 325 mg nur bei Personen mit einem Körpergewicht von mehr als 70 kg.

Kommentar von Hans-Christoph Diener, Essen

Auch eine Erklärung für die Unterschiede bei Männern und Frauen

Die Analyse der Arbeitsgruppe aus Oxford zeigt zum ersten Mal überzeugend, dass die prophylaktische Wirkung von ASS möglicherweise von Dosis und Körpergewicht abhängt. Damit könnte auch zum ersten Mal rational erklärt werden, warum sich Wirksamkeitsunterschiede in den großen randomisierten Studien zwischen Männern und Frauen ergaben, da Männer in diesen Studien erwartungsgemäß ein höheres Körpergewicht hatten. Im klinischen Alltag würden diese Ergebnisse bedeuten, dass bei Personen mit über 70 kg Körpergewicht (30 % aller Frauen, 70 % aller Männer) eine höhere Dosis von ASS eingesetzt werden müsste. Ob dies auch für die Sekundärprävention nach TIA und Schlaganfall gilt, ist bisher nicht untersucht. Eine Änderung der bisherigen Therapieempfehlungen von üblicherweise 100 mg ASS am Tag kann allerdings erst dann umgesetzt werden, wenn durch neue randomisierte Studien gezeigt wird, dass auch prospektiv bei Personen mit einem Körpergewicht von mehr als 70 kg 300 mg ASS wirksamer sind als 100 mg.

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Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen